Die Verträge mit der EU – falsche Interpretation durch den Mitgliedstaat Deutschland?

Seit mehreren Jahren und vieler verfassungsrechtlicher Klagen stellt sich die Frage, ob Deutschland sich den EU-Verträgen vollständig unterwerfen muss und ob die Verträge überhaupt richtig ausgelegt werden. Oft fragt man sich bei in Englisch verfassten EU-Richtlinien (auch im Umsatzsteuerrecht), ob sie überhaupt richtig übersetzt und in nationales Recht umgesetzt werden, wie man beispielsweise bei Umsatzsteuerrichtlinien deutlich sieht. Hier passieren leider viele Umsetzungsfehler.

Nicht nur die zahlreichen Hilfsprogramme, „Stabilitätspakte“ und Hilfspakete in Milliardenumfang, die seitens der EU mit großer Beitragspflicht von Deutschland durchgeführt wurden, ließen dabei große Zweifel erkennen. Deutschland wurde gar von der Europäischen Union mit einem Vertragsverletzungs-Verfahren belangt, weil das eigene (höchste) Bundesverfassungsgericht in einem Urteil Rechtsprechungsgrundsätze „verlauten ließ“ die der Europäischen Kommission, als „Hüterin der Verträge“, die im Wesentlichen vom zentral regierten Frankreich beherrscht wird, nicht gefallen  haben.

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

Nun scheint das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung gegen zwei vorläufige Rechtsschutz-Anträge (2 BvR 2216/20, 2 BvR 2217/20) sich dem Ganzen deutlicherer im Ductus zu nähern, als bisher.

Schon bei angedachten Steuerregeln für die gesamte Europäische Union (abgesehen von der Umsatzsteuer) und Maskenbestellungen auf europäischer Ebene) hatten sich so manche Juristen gefragt, ob nicht die Väter des Maastrichter Vertrages gerade das Steuerrecht und den für das jeweilige Staatsvolk wichtigen Gesundheitsschutz den  EU-Nationalstaaten vollumfänglich überlassen wollten. Das war damals nicht die schlechteste Idee in puncto EU-(Steuer-)Wettbewerb und effektivem Schutz im Gesundheitswesen.
Einstimmigkeitsvorbehalte im Maastrichter Vertrag wurden damals in 1993 bewusst – wegen des geltenden Demokratieprinzips des GG – von der damaligen Regierung eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht musste sich in den zitierten Beschlüssen mit dem „Übereinkommen zu einem einheitlichen europäischen Patentgericht“ beschäftigen.

Die Beschwerdeführer hatten die Möglichkeit einer Verletzung ihrer Grundrechte mit Eilanträgen geltend gemacht. Der Senat des Bundesverfassungsgerichtes legte in der Eilentscheidung jedoch nochmals gründlich dar, wie er die Stellung des Europarechts, seine eigenen Kompetenzen und die des Europäischen Gerichtshofes, sieht.

Vor dem Hintergrund des gegen Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungverfahrens (unter einer deutschen Kommissionspräsidentin eingeleitet) wirken diese Passagen wie eine Stellungnahme, die von einem anderen deutschen Organ von der EU gefordert wird, namentlich der Bundesregierung, zu Anschuldigungen der EU-Kommission – wegen Äußerungen des BVerfG zu erfolgten Stabilitätsprogrammen  – die kaum jemals zurückzunehmen sind.

Wesentliche Aussage ist dabei:

Der Anwendungsvorrang des Unionsrecht bestehe nur „kraft und im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Grundgesetzes.“

Daher findet die vom Grundgesetz ermöglichte Öffnung der deutschen Rechtsordnung für das Europarecht ihre Grenzen nicht nur in dem vom Gesetzgeber verantworteten Integrationsprogramm, sondern auch „in der ebenso Änderungs- wie integrationsfesten Identität der (deutschen)Verfassung.“

Der Anwendungsvorrang, so dass Bundesverfassungsgericht, reicht nur soweit, „wie das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlaubt oder vorsehen.“

Übertragung von Hoheitsrechten

Endlich beschäftigt sich ein deutsches Gericht einmal damit, ob die bald erreichte 100%-Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Union überhaupt noch im Zusammenhang mit der verfassungsgebenden Ordnung in Deutschland nach dem Grundgesetz entspricht (vgl. Art. 38, 23, 79, 20 III GG, u.a.). Ein Bundestag, als Legislative, mit über 750-850 Abgeordneten (mit Überhangmandaten) passt ja dazu überhaupt nicht (mehr). Nur in diesem Sinne und Umfang sei die Anwendung von Unionsrecht in Deutschland demokratisch, d.h. im Ursinn des Wortes „vom Volke legitimiert“, als machtverleihende „Gewalt“, was andersherum bedeutet:

Werden weiterhin im enormen Umfang Hoheitsrechte (Motto: „das können wir nur auf EU-Ebene regeln“)  auf die europäische Union übertragen, hat dies zur Folge, dass der Bundestag nur noch einfaches  Akklamationsorgan wird und „nur“ noch EU-Richtlinien als Akt von Selbstlegitimation bei den nationalen (Umsetzungs-)Gesetzen (Umsetzung in nationales Recht) verschärfen kann. Da dies oftmals nicht im Sinne des Verbrauchers oder der Unternehmen oder des Wettbewerbs ist, stellt sich das Problem der fehlenden Legitimation der vom Volk gewählten Gewalt, der deutschen Bundeslegislative (Art. 38 GG).

Das Bundesverfassungsgericht und seine Kontrollmechanismen

Das Bundesverfassungsgericht erwähnt seine Kontrollmechanismen, namentlich die Identitäts- und die Ultra-Vires-Kontrolle und betont, dass auch die Verfassungsgerichte oder höchsten Gerichte anderer EU-Mitgliedgliedstaaten ähnliche verfassungsrechtliche Vorbehalte (nicht nur in Polen oder Ungarn) kennen, die man aus der Solange I und Solange II-BVerfGE-Rechtsprechung und Maastricht-Urteil ja kennt.

Diese verstreuten und allgemein verbreiteten verfassungsrechtlichen Kontrollvorbehalten „stünden im Übrigen einem uneingeschränkten Anwendungsvorrang des Unionsrechts entgegen“. Deutschland, so das höchste Verfassungsgericht, könnte also schon auch mal bei der EU-Gesetzgebung noch eingreifen. Verfassungsänderungen sind im föderalen Deutschland nicht so leicht möglich.

Das Beispiel England und der Brexit haben aktuell gezeigt, dass andere Länder in der Europäischen Union auch gemerkt haben, dass das zentralistisch gern geführte Brüssel eher dem Recht und Gedankengut des französischen Nationalstaates entspricht, als der föderalistisch geprägten Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, im Grundgesetz mit „Ewigkeitsgarantie“ versehen, die nur ganz schwer denkbar entfallen kann.

Bindung an das Grundgesetz

Ferner hat das Bundeverfassungsgericht zutreffend festgestellt, dass alle Verfassungsorgane, einschließlich des Bundestages, der Bund sowie Deutschland (auch das Bundesverfassungsgericht selbst) an das Grundgesetz gebunden sind und dass diese Bindung „weder relativiert noch unterlaufen werden kann“. So steht das auch klar im GG.

Bei europäischen Gipfeln muss also der Bundestag und Minister der Bundesregierung auch das Grundgesetz und die Bedeutung des Bundestags als Volksvertretung im Hinterkopf haben, wenn es auch wegen der zahlreichen Rechte der garantierten europäischen Grundrechte oft und sehr leicht unzutreffend in den rechtlichen  Hintergrund gerät. Der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über „die Arbeitsweise der Europäischen Union“ enthielten keine ausdrückliche Festlegung zum Vorrang des Unionsrechts.

Der zweite Senat, so in diesem Entscheid, legt dar, dass die „Ausübung verfassungsrechtlich gegebener Prüfungskompetenzen“ (im Grundgesetz nota bene) durch das Bundesverfassungsgericht „stets unberührt bleibe“. Ferner heißt es im Urteil: „Dieses Verständnis habe die Bundesregierung bislang den anderen Vertragsmitgliedstaaten noch nicht mitgeteilt.“

Kritikpunkte in den Urteilen

Kritik wurde auch an der mehrfachen Wiederwahl von Richtern am europäischen Gerichtshof erteilt. Dieses Gericht billigte jüngst erst die steuerlichen Methoden von Konzernen wie Amazon eins zu eins. Erst ein außerhalb der Europäischen Union liegender „Industrieländer -Club“, namentlich derjenige der OECD (ohne EU- oder BRD-Legitimation und mit Drittstaateneinfluss) bringt es fertig, Mindeststeuersätze von 15 % EU-weit festzulegen und den Umstand berücksichtigt, dass Unternehmer und Unternehmen aus Drittstaaten in Deutschland kräftig Umsatz machen, die Infrastruktur nutzen und kaum angemessene Steuern bezahlen. Ein Umstand, den die Europäische Union 20 Jahre lang nicht berücksichtigt hatte.

Fazit

20 Jahre seit erstmals fortgeschrittenem Beginn des E-Commerce sind dabei eine kaum aufzuholende Ewigkeit. Es bleibt zu hoffen, dass Deutschland bereits auf EU-Ebene sich künftig besser einsetzt für seine eigenen (Steuer-)Bürger-Belange. Sonst wird es noch weiter zurückgeworfen, als es derzeit ohnehin der Fall ist. Man sieht dies deutlich an den neuen geplanten EU-Regelungen zu CO2-Emissionen (Programm „Fit for 55“), die in 2-3 Jahren in Kraft treten sollen und zu höheren Preisen führen werden. Gleiches gilt für den beabsichtigten sog. Klimazoll“ (EU-Sprache: „Grenzausgleichssytem“ bzw. „Carbon border adjustment mechanism“).

Personen, die Deutschland in der EU vertreten und repräsentieren dürfen, sollten die Worte des höchsten deutschen Gerichts zur Verfassung künftig bei den sog. „Beratungen“ im EU-Ministerkreis und im EU-Staatschefskreis besser beherzigen. Dort fallen ja auch meistens die (EU-)Würfel.

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