Die Steuerpolitik der Ampel – Teil 2: Digitalisierung

Endlich Vorfahrt für Digitalisierung?

Die Ampelkoalition schmückt sich mit Etiketten wie Aufbruch, Modernisierung oder Fortschritt. Eine Artikelserie geht der Frage noch, ob der Inhalt des Koalitionsvertrags aus steuerlicher Sicht hält, was die Überschrift („Mehr Fortschritt wagen“) verspricht.

„Digitaler Staat und digitale Verwaltung“ lautet eine der ersten Überschriften im Koalitionsvertrag. „Die Verwaltung soll agiler und digitaler werden. … Wir wollen das Potenzial der Digitalisierung in Staat und Gesellschaft besser nutzen“ geht es weiter und es folgen auch eine Reihe konkreter steuerpolitischer Digitalisierungsprojekte. Dieser Schwerpunkt ist zweifellos richtig, aber allein aus der politischen Prosa des Koalitionsvertrags lässt sich noch nicht der grundlegende Paradigmenwechsel ableiten, der nötig wäre. Denn bereits im Jahr 2018 verkündete die damalige Große Koalition eine „Offensive für Bildung, Forschung und Digitalisierung“. 2013 formulierte die Vorgänger-GroKo eine „Digitale Agenda für Deutschland“. Erst ein Blick in die noch älteren Koalitionsverträge von 2009 und 2005 zeigt, dass Digitalisierung damals nur ein politisches Randthema war.

Das bedeutet aber auch, dass die Politik seit einem knappen Jahrzehnt voll auf Digitalisierung setzt. Zeit genug, um – hier mit Blick auf das Besteuerungsverfahren – eine Zwischenbilanz zu ziehen. Teilt man den Digitalisierungsgrad der Finanzverwaltung in fünf Level ein, landet Deutschland allenfalls im unteren Mittelfeld auf Level 2, da immerhin elektronische Steuererklärungen Standard sind (Level 1 „E-file“) und auch Bilanzdaten elektronisch übermittelt werden (Level 2 „E-accounting“).

Andere Länder führen bereits Echtzeit-Datenabgleiche auch über Steuerarten hinweg oder mit Bankdaten durch (Level 3 „E-match“) oder führen gar schon Echtzeit-Analysen der Steuerdaten durch (Level 4 „E-Audit“). Den theoretischen Endpunkt, in dem die Finanzverwaltung die Steuerberechnung selbständig auf Basis der Unternehmensdaten durchführt (Level 5 „E-asses“) erreicht derzeit noch kein Land.

Das führt vor Augen: Nirgendwo klaffen Anspruch und Wirklichkeit der Politik stärker auseinander als beim Zukunftsthema Nummer 1, der Digitalisierung. Die Ampel ist dann eine erfolgreiche Regierungskoalition, wenn sie diese Erwartungslücke schließt oder zumindest deutlich verringert. An diesem Maßstab ist auch die angekündigte Digitalisierung und Entbürokratisierung der Steuerverwaltung zu messen.

Das Kernprojekt der Koalition dürfte in diesem Zusammenhang die „schnellstmöglich“ angekündigte Einführung eines elektronischen Meldesystems sein, das für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen verwendet wird. Damit ist ein sog. E-Invoicing gemeint, das in verschiedenen Formen, z.B. in Italien und Spanien, bereits vorhanden ist. Ein solches System, in dem Rechnungsdaten in Echtzeit an die Finanzverwaltung gehen, würde einen Levelaufstieg bedeuten, muss aber zwingend in enger Kooperation mit der Wirtschaft entwickelt werden.

Ein weiteres Vorzeigeprojekt könnte die Beschleunigung und Modernisierung der Steuerprüfung sein, was ebenfalls über Digitalisierung erreicht werden soll – laut Koalitionsvertrag insbesondere durch verbesserte Schnittstellen, Standardisierung und den sinnvollen Einsatz neuer Technologien. Allgemein will die Koalition die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens konsequent vorantreiben. Die gesamte Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung soll digital möglich sein.

Auch Digitalisierung muss offenbar verwaltet werden, weswegen sich eine zentrale Organisationseinheit auf Bundesebene um Digitalisierung und Verringerung der Steuerbürokratie kümmern soll. Die Praxis wird zeigen, ob mit dieser neuen Stelle nicht nur neue Beamtenstellen geschaffen werden, sondern – was zu hoffen ist – tatsächlich Schwung in die Digitalisierungskampagne gebracht wird.

In der öffentlichen Diskussion eher untergegangen ist bislang ein Aspekt, der eine wichtige Voraussetzung für effizient digitalisierbare Steuergesetze schaffen könnte. So will die Koalition darauf achten, dass steuerliche Regelungen grundsätzlich auch digital umsetzbar sind. Jedes Gesetz soll also von Anfang an auf Digitalisierung getrimmt werden. Damit könnte sogar dem „analogen“ Gesetzesanwender geholfen sein, wenn eindeutigere, sozusagen digitalere Gesetzesformulierungen erzwungen werden.

Ob sich dagegen hinter der Ankündigung, die Blockchain-Technologie bspw. gegen missbräuchliche Dividendenarbitragegeschäfte einzusetzen, mehr als ein kommunikatives Stilmittel verbirgt („Wir müssen noch irgendwas mit Blockchain reinschreiben!“), wird sich zeigen müssen. Zeitgemäß dürfte in jedem Fall die Entscheidung sein, E-Sport wie normalen Sport als gemeinnützig anzuerkennen. Digitalisierung soll schließlich auch Spaß machen!

Selbstverständlich ist Digitalisierung vor allem auch ein Thema der Privatwirtschaft. Großzügige Impulse aus der Kategorie “Steuern mit Steuern“ können über ihren Hebeleffekt viele Milliarden an privaten Investitionen auslösen. Daher ist die Schaffung einer Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter („Superabschreibung“) ein richtiger Ansatz. Allerdings sollte die Koalition die angedachte Beschränkung auf die Jahre 2022 und 2023 überdenken. So schnell dürfte es dann doch nicht gehen mit der Digitalisierung und größere Projekte brauchen einen zeitlichen Vorlauf. Außerdem ist es essenziell, dass die Politik hier klotzt und nicht kleckert. Um überhaupt etwas zu bewirken, muss die Superabschreibung/Investitionsprämie im Übrigen signifikant großzügiger ausfallen (also eine Einkommensminderung von > 100 % der Anschaffungs-/Herstellungskosten ermöglichen) als das BMF-Schreiben zur Digi-AfA, das faktisch einen sofortigen Betriebsausgabenabzug für viele Investitionen ermöglicht und damit die Messlatte für weitere Begünstigungen bereits hoch angesetzt hat.

Der Schlüssel für die Umsetzung der Agenda liegt darin, die Zusammenarbeit mit den Ländern effizient zu gestalten. In der Vergangenheit zeigte sich der Föderalismus bei der Digitalisierung eher von seiner bremsenden Seite. Endlose Abstimmungen waren die Folge, was sicher auch daran lag, dass in der damit erzwungenen Zusammenarbeit aller Parteien einer dem anderen nicht immer den Erfolg gönnte.

Fazit

Mittlerweile ist der Problemdruck aber so groß, dass hoffentlich alle Beteiligten einsehen: Die 20. Legislaturperiode ist bei der Digitalisierung zum Erfolg verdammt. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die Politik zwar seit einem knappen Jahrzehnt voll auf Digitalisierung setzt, jedoch Anspruch und Wirklichkeit der Politik in diesem Zukunftsthema Nummer 1 besonders augenfällig auseinanderklafft. Um am Ende nicht ebenfalls die Kategorie „to little / to late“ zu verstärken, sollte die neue Bunderegierung bei der Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens auf ein professionelles Projektmanagement achten. Die Digitalisierung ist jedoch kein Selbstzweck, sondern sollte Hand in Hand mit einer zeitnahen Betriebsprüfung kombiniert werden. Eine wirklich spürbare Entbürokratisierung dürfte für beide Ziele einen gewichtigen Beitrag zur Zielerreichung leisten, denn eine Komplexitätsreduktion erleichtert jede Digitalisierung und hat noch den Vorteil einer früheren Rechtssicherheit im Gepäck. Vielleicht könnte hier eine Strategie des Förderns und Forderns dem politischen Ziel des „Mehr Fortschritt wagen“ einen wirklichen Schub verleihen. Dazu könnte die Finanzverwaltung mit den nötigen Ressourcen für eine echte Digitalisierung ausgestattet und die steuerlichen Verjährungsfristen spürbar verkürzt werden. Die Verkürzung der Verjährungsfristen könnte dabei als Katalysator zur Überwindung von Änderungshemmnissen und dem Beharrungsvermögen der Verwaltung dienen.

Die Wirtschaft hat die Zeichen der Zeit erkannt und mit dem Institut für Digitalisierung im Steuerrecht e.V. einen politisch unabhängigen Think Tank geschaffen, der mit hochkarätigen Experten besetzt ist und der Politik jede nur denkbare Unterstützung gewähren wird. Die Zeit für Ausreden ist vorbei, in den kommenden vier Jahr muss geliefert werden.


Ein Kommentar zu “Die Steuerpolitik der Ampel – Teil 2: Digitalisierung

  1. Man muss sich doch stark wundern, dass der neue Finanzminister für sein Versprechen gefeiert wird, dass es ZUKÜNFTIG eine vorausgefüllte Steuererklärung geben soll. Für besonders viel Kompetenz spricht das nicht.

    Klar ist, dass eAnträge weiter ausgebaut und um eAbfragen erweitert werden müssen. Das kann die ewig lange und ineffiziente Hinterhertelefoniererei beim Finanzamt vermindern. Täuscht mich der Eindruck oder mangelt es daran, dass einfach nicht bei der Basis (Finanzbeamt*innen und Mitarbeitende in Steuerbüros) nachgefragt wird? Beispiele:
    – Abfrage UStVA-Zeitraum + Beginn des Signals
    – Abfrage zu ID-Nrn. zugehöriger Steuernummern und gesetzte Abgabesignale
    – Abfrage Bearbeitungsstand von ESt-Erklärungen / FSE
    – Abfrage von SEPA-Mandaten

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