Seit einigen Jahren dreht sich das umsatzsteuerliche Rad rund um die Besteuerung des Onlinehandels ziemlich schnell. Angefangen von den §§ 22f und 25e UStG, welche die umsatzsteuerliche Haftung von Marktplatzbetreibern erstmalig seit dem 1. Januar 2019 regeln, kommt es nun ab dem 1. Juli 2021 zu umfangreichen Änderungen bei der Umsatzbesteuerung im Rahmen des Verkaufs über jene Plattformen.
Diesbezüglich wurde den Verbänden nun der Entwurf eines BMF Schreibens zur „zweiten Stufe des sogenannten Mehrwertsteuer-Digitalpakets“ vorgelegt (auf Basis des JStG 2020 vom 21. Dezember 2020). Auf über 29 Seiten finden sich umfangreiche Änderungen betreffend die Behandlung von Fernverkäufen nach § 3c UStG (vormals „Versandhandelsregelung“) sowie die Erweiterung des besonderen Besteuerungsverfahrens, welches gemeinhin als „One-Stop-Shop“-Verfahren bezeichnet wird (vormals „Mini-One-Stop-Shop“-Verfahren).
Ungeachtet zahlreicher Änderungen für im Drittland ansässige Unternehmen sowie die Einführung eines fiktiven Reihengeschäfts beim Verkauf über elektronische Schnittstellen, befasst sich dieser Artikel mit der grundlegenden Problematik im Inland ansässiger Unternehmer, welche zukünftig Umsätze über Online-Marktplätze generieren und die Lagerung der angebotenen Waren dem jeweiligen Marktplatzbetreiber überlassen.
Die Versandhandelsregelung bis zum 30. Juni 2021
Unabhängig davon, ob der deutsche Unternehmer seine Waren über einen Marktplatzbetreiber anbietet oder nicht, müssen die Vorschriften des § 3c UStG beachtet werden, sofern der Leistungsempfänger (Kunde) ein Nichtunternehmer ist (auf weitergehende Ausführungen zur Verwendung von Umsatzsteuer-ID Nummern wird aus Vereinfachungsgründen verzichtet).
Zu prüfen gilt die sogenannte Lieferschwelle, welche länderspezifisch festgelegt ist (gem. § 3c Abs. 3 S. 2 Nr. 2 UStG). Kommt es demnach zu einem Verkauf von Waren eines deutschen Unternehmers an private Endkunden in Frankreich und übersteigt das Umsatzvolumen 35.000 EUR, so führt dies dazu, dass die Umsätze – genauer: der erste Umsatz, welcher die vorgenannte Schwelle überschreitet – mit der lokalen Umsatzsteuer in Höhe von 20 % zu fakturieren sind. Folglich kommt es zu einer Registrierungsverpflichtung des Unternehmers in Frankreich.
Fernverkäufe ab dem 01. Juli 2021
Grundsatz: Die länderspezifischen Lieferschwellen werden abgeschafft. Durch § 3c Abs. 4 UStG (m.W.v. 01.07.2021) kommt es zukünftig zu einer einheitlichen EU-weiten Grenze in Höhe von 10.000 EUR (netto). Der Unternehmer muss demnach seine gesamthaften Umsätze im Rahmen der Fernverkäufe überprüfen und darauf achten, dass diese für alle EU-Mitgliedstaaten die vorgenannte Grenze nicht überschreiten. Kommt es zu einer Überschreitung der Grenze, muss sich dieser jedoch nicht – wie bislang – im Mitgliedstaat, in welchem die Warenbewegung endet, zwingend umsatzsteuerlich registrieren. Der Unternehmer kann vielmehr das One-Stop-Shop Verfahren (OSS-Verfahren) gem. § 18j UStG in Anspruch nehmen und die lokale Umsatzsteuer des Bestimmungslandes über die im Inland zuständige Behörde (in Deutschland: Bundeszentralamt für Steuern) anmelden und abführen.
Jetzt kann man sich zurecht die Frage stellen, inwieweit umsatzsteuerliche Risiken bzw. Hürden zum Tragen kommen, sorgen die Neuregelungen durch die Vereinheitlichung doch weitestgehend für Klarheit. Dem ist auch insoweit zuzustimmen, als dass wir ausschließlich von im Inland ansässigen Unternehmer sprechen, welche ihre Waren physisch von Deutschland in andere EU-Mitgliedstaaten versenden. Die Praxis sieht jedoch häufig anders aus.
Amazon und deren ausländische Lager
Der Unternehmer, welcher bei einem (elektronischen) Marktplatzbetreiber wie Amazon einen sog. Business Account eröffnet, wird schon bei Aufnahme der Verkaufstätigkeit mit der Frage konfrontiert, ob dessen Waren nicht vielmehr von einem europäischen Amazon-Lager aus versendet werden sollen. Die Verringerung von Transportzeiten sowie die verbilligte Lagerhaltung führen zumeist dazu, dass der Unternehmer dem Angebot aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten zustimmt.
Dass es für den “neuen“ § 3c UStG und dem bereits bekannten Bestimmungslandprinzip grundsätzlich keine Auswirkung hat, wo der Beginn der Beförderung bzw. Versendung liegt, ist der Diskussion nicht wert. Unabhängig davon, ob der im Inland ansässige Unternehmer seine Waren von Deutschland oder aus einem ausländischen Amazon-Lager heraus versendet – das OSS-Verfahren steht ihm bei Überschreiten der Umsatzschwelle bzw. bei Verzicht auf diese uneingeschränkt zur Verfügung. Doch wie sind die vorgelagerten Prozesse umsatzsteuerrechtlich zu würdigen?
Wird die Ware des Unternehmers – vor Verkauf an den Endkunden – zunächst von Deutschland in ein (EU-)ausländisches Warenlager von Amazon gebracht, erfüllt dieser Vorgang zweifelsohne den Tatbestand des innergemeinschaftlichen Verbringens nach § 3 Abs. 1a UStG. Allein auf Grund dieses Vorgangs kommt es grundsätzlich zu einer Registrierungsverpflichtung des Unternehmers im Bestimmungsland, da dort analog zu § 1a Abs. 2 UStG ein innergemeinschaftlicher Erwerb zu deklarieren ist (Art. 21 MwStSystRL).
Nehmen wir nun an, dass der Käufer (Nichtunternehmer) in genau jenem EU-Mitgliedstaat ansässig ist, in welchem sich das Lager befindet und die Warenbewegung (aus dem Lagerheraus) demnach innerhalb dieses Mitgliedstaates erfolgt. Jetzt wird es spannend…
Zunächst muss sich der deutsche Unternehmer fragen, ob er den Umsatz im Rahmen des normalen Besteuerungsverfahrens (auf Grund der ohnehin zwingenden Registrierung) oder im Rahmen des besonderen Besteuerungsverfahrens (OSS) zu deklarieren hat. Im Zuge dessen steht auch die grundsätzliche Frage im Raum, ob das OSS-Verfahren überhaupt noch möglich ist. Grundsatz der Anwendung des OSS-Verfahrens ist nämlich die einheitliche Vorgehensweise für sämtliche Fernverkäufe in der EU (§ 18j Abs. 1 S. 4 UStG; m.W.v. 01.04.2021). Es besteht folglich kein Wahlrecht für den Unternehmer, in ausgewählten Mitgliedstaaten eine Registrierung anzustoßen und sich im Rahmen des Fernverkaufs in andere Mitgliedstaaten dem OSS-Verfahren zu bedienen.
Dies wiederum würde bedeuten, dass sich der Unternehmer in sämtlichen Mitgliedstaaten umsatzsteuerlich registrieren muss, in welchen er Fernverkäufe tätigt, sobald das OSS-Verfahren nicht mehr anwendbar ist (Annahme: EU-weite Umsätze überschreiten Grenze von 10.000 EUR).
Auf diese in der Praxis häufig anzutreffende Konstellation geht das BMF bislang nicht ein. Zwar finden sich im Entwurf Aussagen zur Parallelität vom normalen und besonderen Besteuerungsverfahren; die Aussagen zielen jedoch vorwiegend auf im Inland ansässige Unternehmer ab, die ihre Umsätze bislang ohnehin im normalen Besteuerungsverfahren deklarieren.
Berater und Unternehmer müssen frühzeitig entscheiden, welcher steuerliche Weg ab Juli eingeschlagen wird (Registrierung, OSS-Verfahren, Verzicht auf die Umsatzschwelle etc.) und welche Risiken die Versendung von Waren aus ausländischen Lagern heraus mit sich bringen. Die Neuregelungen rund um die §§ 3 Abs. 3a, 3c, 18i, 18j, und 18k mit all ihren Einzelfällen bergen eine erhöhte Komplexität, welcher der Entwurf des BMF trotz seines Umfangs von 29 Seiten noch nicht in Gänze gerecht wird.
Weitere Informationen:
Entwurf BMF-Schreiben III C 3 – S 7340/19/10003 :022
Vielen Dank für die Verlinkung des BMF Schreibens. Jetzt kann man zumindest ein bisschen sich auf das vorbereiten was kommt. Bis zum 01. Juli ist es nicht mehr so lang.
Der § 18j Abs. 4 S. 1 UStG n.F. bezieht sich nur auf Fernverkäufe. Für dieses gilt insofern das Entweder-Oder-Prinzip des OSS. Darüber hinaus kann man sehr wohl lokale Verkäufe im EU-Ausland und auch i.g. Verbringungen weiterhin bzw. parallel über eine lokale Registrierung melden.
Sehr geehrter Herr Dr. Gothmann,
vielen Dank für Ihre Anmerkungen. Mittlerweile hat die Praxis gezeigt, dass eine entsprechende zweigleisige Vorgehensweise EU-weit möglich ist. Wie im Artikel beschrieben, wäre es jedoch wünschenswert gewesen, dass das BMF hierzu ein klarstellendes Beispiel aufnimmt. Die parallele Deklaration im Rahmen des normalen Besteuerungsverfahren als auch im OSS-Verfahren bezog sich, wie oben beschrieben, leider nur auf inländische Sachverhalte.
In der Praxis wäre eine anderweitige Durchführung kaum möglich gewesen, da das dargestellte Beispiel bei Mandanten allzu häufig anzutreffen ist.
Vielen Dank und viele Grüße
Sören Hoss