Konkreter müsste die Frage lauten: Sollten Anträge auf Günstigerprüfung mit dem Ziel des geringeren persönlichen Steuersatzes für Kapitaleinkünfte, statt der im Einzelfall höheren Abgeltungssteuer, einfach immer gestellt werden? Also explizit auch dann, wenn der persönliche Steuersatz nicht günstiger ist? Grund für diese provokanten Fragestellungen ist die Vorgehensweise eines Finanzamtes im Finanzgerichtsbezirk Köln.
Im Urteilssachverhalt hatte ein Steuerpflichtiger neben Einkünften aus Kapitalvermögen auch gewerbliche Einkünfte aus einer Personengesellschaft, welche gesondert und einheitlich festgestellt wurden. Bei Abgabe der Einkommensteuererklärung wurde der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG nicht gestellt, da die Besteuerung mit der Abgeltungsteuer schlicht günstiger war. Nachdem der Einkommensteuerbescheid unanfechtbar geworden ist erging ein geänderter Feststellungsbescheid in den die gewerblichen Einkünfte herabgesetzt wurden. Da dieser Grundlagenbescheid eine Bindungswirkung für den Einkommensteuerbescheid entfaltet, wurde er nach § 175 Abs. 1 Nummer 1 AO geändert.
Aufgrund der Herabsetzung der gewerblichen Einkünfte wäre eine Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen zum persönlichen Steuersatz nun deutlich günstiger. Deshalb legte der Steuerpflichtige gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein und beantragte die Günstigerprüfung. Das Finanzamt stellte sich jedoch quer und verwies auf § 351 Abs. 1 AO, wonach Verwaltungsakte, die unanfechtbar Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden können, als die Änderung reicht. Einzige Ausnahme: Aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten ergibt sich etwas anderes. Soll heißen: Es greift eine Korrekturvorschrift.
Erfreulicherweise entschied mit Urteil vom 30.3.2017 nun jedoch das FG Köln (Az: 15 K 2258/14), dass ein Antrag auf Günstigerprüfung auch noch nachträglich gestellt werden kann, wenn eine vorherige Antragstellung nicht zuzumuten war, weil diese ins Leere gegangen und damit rechtlich bedeutungslos gewesen wäre.
Dabei setzen sich die erstinstanzlichen Richter keineswegs über die Regelung des § 351 Abs. 1 AO hinweg. Vielmehr sehen Sie die Regelung als erfüllt, weil für den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid die Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 AO greift. Nach dieser Vorschrift kann ein Steuerbescheid immer dann geändert werden, wenn ein Ereignis eintritt, dass steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Zudem muss ein Bedürfnis bestehen, eine schon bestandskräftig getroffene Regelung an die nachträgliche Änderung des Sachverhalts anzupassen.
Beides sieht das Gericht im vorliegenden Fall als erfüllt, denn bei Abgabe der Steuererklärung wäre ein Antrag auf Günstigerprüfung ins Leere gegangen. Insoweit ist es dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten, einen zu diesem Zeitpunkt rechtlich bedeutungslosen Antrag zu stellen. Zudem waren die Voraussetzungen für die Ausübung des Antrags auf Günstigerprüfung erst mit Herabsetzung der gewerblichen Einkünfte gegeben, sodass ein Bedürfnis besteht, den erst nach Eintritt der Bestandskraft des ursprünglichen Bescheides gestellten Antrags zurückwirken zu lassen.
Gegen die logische, rechtlich begründete und komplett nachvollziehbare Entscheidung des FG Köln ist unter dem Aktenzeichen VIII R 6/17 Revision beim Finanzamt anhängig. Bis auf Weiteres ist daher Rechtssicherheit in ähnlich gelagerten Fällen nicht gegeben, weshalb Steuerpflichtigen nur die Möglichkeit bleibt auf die erstinstanzliche Entscheidung aus Köln hinzuweisen und ansonsten rein vorsorglich auch rechtlich bedeutungslose Anträge zu stellen. Da ein solcher Antrag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich abgelehnt wird, müsste dann der Einkommensteuerbescheid wohl mittels Einspruch offen gehalten werden. Die Lösung des FG Köln scheint daher auch aus rein praktischen Erwägungen als geeigneter.
Weitere Informationen:
- FG Köln v. 30.03.2017 – 15 K 2258/14
- Verfahrensverlauf | BFH – VIII R 6/17 – anhängig seit 18.08.2017 (per 07.11.2017)