Corporate Litigation im Mittelstand & Prozessfinanzierung (Teil 1)

Rationale Apathie vs. „Kampf ums Recht“

Bei Streitigkeiten im Gesellschafterkreis und bei Managerhaftungsprozessen spielt seit über 20 Jahren das sogenannte Third Party Funding (Fremdfinanzierung von Prozessen) eine gewisse Rolle. Rechtlich komplexe Streitfragen im Zusammenhang mit derartigen Prozessfinanzierungen werden Schritt für Schritt von der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Es greift aber nicht nur die (gewerbliche) Fremdfinanzierung von Gerichtsprozessen Platz. In der Corporate Litigation-Praxis kommt es immer wieder zu Situationen, in denen Gesellschafter Haftungsprozesse des eigenen Unternehmens gegen ihre Geschäftsführer finanzieren.

In letzter Zeit waren ich in meiner Funktion als Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei ROSE & PARTNER immer mal wieder mit der Prozessfinanzierungen befasst. Dieses Litigation Finance-Thema führt im Schrifttum ein gewisses Schattendasein, obgleich es sehr spannend ist. Das Thema hat viele Facetten und berührt diverse Rechtsmaterien (Corporate, Prozessrecht, Insolvenzrecht, Finance etc.). Mit diesem Beitrag möchte ich verschiedene Blickwinkel auf das Thema richten.

Gerichtliche Prozesse im Gesellschaftsrecht und vor allem Gesellschafterstreitigkeiten sind geprägt von einem hohen Kosteneinsatz. Schließlich hat die Einschaltung spezialisierter Anwälte ihren Preis. Nicht selten stellt sich wegen der hohen Kosten, Prozessrisiken und der gesetzlichen Prozesskostenverteilung vor allem in der Unternehmenskrise eine rationale Apathie ein. Dieser entgegen wirkt die Fremdfinanzierung von Prozessen. Mit ihr lassen sich einfacher berechtigte Ansprüche in aussichtsreichen Verfahren durchsetzen. Sie sie erleichtert den „Kampf ums Recht“ und trägt insoweit der Justizgewähr Rechnung.

Struktur der Streitigkeiten bei mittelständischen GmbHs

Gesellschafterstreitigkeiten führen in der Jurisprudenz ein gewisses Eigenleben. Sie unterscheiden sich von anderen wirtschaftsrechtlichen Disputen vor allem durch ihre besondere Nähe zu den internen Strukturen eines Unternehmens. Während allgemeine wirtschaftliche Streitigkeiten oft Vertragsverhältnissen, Lieferbeziehungen und anderen schuldrechtlichen Geschäftsbeziehungen entwachsen, kristallisieren sich Gesellschafterstreitigkeiten meist im Spannungsfeld von Finanzierung, Unternehmensführung und -kontrolle. Unternehmensinterne Streitigkeiten sind oft stark personalisiert und wegen der engen Beziehungen emotional hoch aufgeladen. Verschiedentlich werden sogar unbeteiligte Stakeholder des Unternehmens in Auseinandersetzungen einbezogen.

Aus rechtlicher Perspektive entladen sich Gesellschafterstreitigkeiten in mittelständischen GmbHs klassischerweise in feindlichen Gesellschafterversammlungen, etwa durch Zwangseinziehungs- und Zwangsabtretungsbeschlüsse. Dort, wo es um den Ausschluss von Gesellschaftern geht, sind die gerichtlichen Auseinandersetzungen um eine angemessene Abfindung nicht weit. Überdies gibt es kaum einen ausgetragenen Gesellschafterdisput ohne, dass die Geschäftsleitung einbezogen oder sogar direkt Ziel von feindlichen Maßnahmen wird. Geschäftsführer aus dem feindlichen Lager werden regelmäßig durch die Verweigerung von Entlastungen oder gar durch Abberufungen und außerordentliche Kündigungen angegriffen. In der oberen Rangliste rangieren ferner Klagen gegen die Feststellung von Jahresabschlüssen, Klagen auf Gewinnausschüttungen sowie gerichtliche Verfahren gegen beteiligungs- oder gesellschaftsvertragliche Bad Leaver-Klauseln.

Weil ein Gesellschafterstreit sogar den Fortbestand des Unternehmens gefährden kann, wird gemeinhin in die Streitlösung viel Zeit, Kraft und Geld investiert. Ein wesentlicher Baustein dabei ist die gerichtliche Klärung von gesellschaftsrechtlichen Blockaden und Pattsituationen. Eingehende Hintergrundinformationen zu typisierten Blockaden im Gesellschafterkreis finden Sie hier verlinkt: Pattsituation im GmbH-Recht.

Grundsätzlich eignen sich gesellschaftsrechtliche Gerichtsstreitigkeiten für eine Prozessfinanzierung, da sie sehr oft hohe Streitwerte produzieren und die Bonität des Anspruchsgegners überdurchschnittlich gut oder sogar durch eine D&O-Versicherungspolice sichergestellt ist. Der Finanzierer kann etwa an Haftungsansprüchen gegen Geschäftsführer, Erstattungsansprüchen wegen verdeckten Gewinnausschüttungen, Verletzung von Kapitalaufbringungs- oder Kapitalerhaltungsansprüchen beteiligt werden. Überdies zaubern Abfindungsklagen von Gesellschaftern nach Zwangseinziehungsbeschlüssen, Austrittskündigungen oder aktivierten Leaver-Mechanismen ein warmes Lächeln in das Gesicht jeden Finanzierers.

Ein Third Party Funding kommt aber nicht nur bei Ansprüchen auf Geldzahlung in Betracht, wo der Prozessfinanzierer im Erfolgsfall direkt partizipieren kann. Auch für sonstige Klagen, wie Beschlussmängelverfahren, die gegen zwangsweise Gesellschafterausschlüsse gerichtet sind, oder Feststellungsklagen, mit denen eine streitige Gesellschafterstellung festgestellt werden soll, lässt sich eine Prozessfinanzierung finden, auch wenn am Klageerfolg nur eine indirekte finanziell Partizipation möglich ist. Schließlich kann nicht nur eine Klage, sondern auch die Abwehr von gerichtlichen Maßnahmen fremdfinanziert werden. Die Beklagtenseite greift dabei auf Versicherungslösungen, wie After-the-Event (ATE)-Policen, zurück. Damit lassen sich für den Beklagten im Unterliegensfall alle Kosten eines nachteiligen Urteils absichern (eingehend zu ATE-Policen Hülsberg/Fassbach, NZI 2024, 65ff.).

Schnittstelle zwischen Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht

Aus der Perspektive des Prozessanwalts ist der Weg vom Gesellschaftsrecht zum Insolvenzrecht nicht weit. Da das Unternehmertum definitionsbedingt mit Risiken und nicht selten auch mit existentiellen Gefahren verbunden ist, besteht zwischen beiden Rechtsgebieten eine gewisse Verwandtschaft. Nach der Insolvenz eines mittelständischen Unternehmens stehen insbesondere Klagen des Insolvenzverwalters im Fokus, die sich gegen (ehemalige) Organwalter, also Geschäftsführer, Vorstände, Aufsichtsräte, und Gesellschafter richten.

Die typischen Gerichtsprozesse umfassen natürlich die Insolvenzverschleppungshaftung. Geschäftsführer, Vorstände und ggf. auch Aufsichtsratsmitglieder haften mit ihrem privaten Vermögen, wenn sie trotz Eintritts der Insolvenzreife nicht rechtzeitig Insolvenzantrag stellen und dadurch die Masse schmälern. Diese Haftungsansprüche können extrem hohe Forderungen nach sich ziehen und sind häufig Gegenstand komplexer Prozesse. Überhaupt ist die Insolvenz für jeden Geschäftsführer regelrecht ein Minenfeld mit diversen Haftungsgefahren.

Aber auch Gesellschafter können in der Insolvenz in die Haftung genommen werden, wenn sie zuvor, etwa durch rechtswidrige Entnahmen, das Vermögen der Gesellschaft geschmälert haben. Jeder Insolvenzverwalter prüft, ob Gesellschafter bei ihren Gewinnausschüttungen die im Kapitalgesellschaftsrecht bestehenden Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsregeln eingehalten haben. Überdies können auch steuerschädliche (verdeckte) Gewinnausschüttungen Ansprüche gegen Gesellschafter auslösen. Die Klagen des Insolvenzverwalters richten sich häufig auf Rückzahlungen oder Schadensersatz.

Man ahnt bereits, dass der Anwendungsnutzen des Insolvenzverwalters an einer Prozessfinanzierung groß ist. Die Prozesse weisen oft sehr hohe Streitwerte und mithin enorme Prozesskostenrisiken auf. Erinnert sei an die millionenschweren Klagen der Insolvenzverwalter gegen geschäftsführende Familienmitglieder der Schlecker-Familie oder gegen die Geschäftsführer der insolventen BenQ Mobile GmbH & Co. KG.  Solche Prozesse gegen Organwalter sind aber nicht nur teuer. Die Insolvenzmasse und damit auch der Aktionsradius des Insolvenzverwalters, vor allem ohne ein operatives Geschäft, ist endlich.

Mit einem finanzierten Haftungsprozess eines insolventen Unternehmens gegen seinen Geschäftsführer hat sich jüngst auch der BGH im letzten Jahr (Urteil vom 17.10.2023 – II ZR 72/22) auseinandergesetzt. In diesem höchstgerichtlichen Fall hat ein Gesellschafter einer in die Insolvenz geratenden vermögenslosen Liquidationsgesellschaft einen Haftungsprozess finanziert. An dieser Stelle nur so viel: Der BGH hat diesem „privat“ fremdfinanzierten Prozess gegen den Geschäftsführer seinen Segen erteilt (eingehend dazu s.u. Ziff. 4.).

Bedeutung der gewerblichen Prozessfinanzierung

Was sind das für Akteure, die Klagen und streitige Verfahren für Dritte finanzieren? Was ist eine Prozessfinanzierung genau? Wie funktioniert sie und was macht sie aus?

Die gewerbliche Prozessfinanzierung kann als eine Finanzierungsdienstleistung verstanden werden, bei der ein Investor die Kosten eines Rechtsstreits übernimmt, ohne dass die unterstützte Streitpartei eigene finanzielle Ressourcen in Anspruch nehmen muss. Im Gegenzug erhält der Prozessfinanzierer eine Beteiligung am Streiterlös. Der globale Markt für Prozessfinanzierungen wurde im Jahr 2020 auf über 11 Milliarden USD geschätzt. Experten erwarten, dass ein Wachstum in 2027 sogar die Marke von 25 Milliarden USD erreichen könnte. Im beschaulichen Deutschland rechnet man mit einem Volumen bis zu 500 Millionen EUR p.a. (Lieberknecht, NJW 2022, 3318 m.w.N.). Eine hohe mediale Aufmerksamkeit haben hierzulande die Prozessfinanzierer im Rahmen der Verbraucherschutzklagen beim Diesel-Skandal, der Verletzung von Fluggastrechten oder auch im Bankensektor erhalten.

Geräuschloser kommt die Prozessfinanzierung bei mittelständischen Unternehmen zum Einsatz. Sie ist nicht nur auf Verfahren vor staatlichen Gerichten beschränkt, sondern wird auch vor nationalen und internationalen Schiedsgerichten bei B2B-Streitverfahren eingesetzt.

Die großen Vorteile einer Prozessfinanzierung für streitführende Unternehmen lassen sich so zusammenfassen: Die mit dem Streitverfahren ausgelösten Kostenpositionen und -risiken, also Anwaltsvergütung, Gerichtskosten, Sachverständigen und Zeugengelder sowie die Kosten für den gegnerischen Anwalt, lassen sich weiterreichen. Durch dieses Kostenhedging erfolgt eine spürbare Liquiditätsschonung, was im Mittelstand bei hohen Streitwerten zu einer großen Entlastung führt. Des Weiteren kann ein fremdfinanziertes Unternehmen ertragswirksame Rückstellungen vermeiden und damit bilanztechnische Vorteile in Anspruch nehmen. Im deutschen Zivilprozess gilt der Mechanismus „The winner takes it all“. Mit einem Finanzierer im Rücken lässt sich jeder Gerichtssaal (seelisch) leichter betreten. Schließlich kann auch die offengelegte Prozessfinanzierung einer finanzschwachen Streitpartei in einer „David gegen Goliath“-Situationen taktisch helfen und die Verhandlungsbasis verbessern. Erleichtert wird so eine schnellere Vergleichslösung, was das Risiko des Totalverlustes reduziert.

Die beschriebenen Vorteile gibt es jedoch nicht zum Nulltarif. Den interessierten Leser werden die Vergütungsstrukturen der Prozessfinanzierer interessieren. Die Vergütung richtet sich nach dem Streitwert und Umfang der übernommenen Kosten und zukünftigen Kostenrisiken. Die Vollfinanzierung eines Prozesses ist naturgemäß teurer als eine Teilfinanzierung. In der Praxis gibt es eine Vielzahl an Vergütungsmodellen (vgl. Krüger, ZEV 2019, 575, 577). Typischerweise verlangt der Finanzierer eine Beteiligung am erstrittenen Klagertrag. Bei höheren Streitwerten liegt die Beteiligungsquote des Finanziers meist bei über 30 %. In der Finanzierungspraxis werden auch zeitlich gestaffelte Quoten und Mindest-Multiple von zwischen 1,5 und 3,0 auf das eingesetzte Kapital vereinbart.

Im zweiten Teil (erscheint am 20.09) gehe ich auf folgende Punkte ein:

  • „Privat“ finanzierter Managerhaftungsprozess
  • Ausblick zum Legal Finance

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