Derzeit gibt es wenige Großthemen, die die Berichterstattung dominieren. Eines ist die vor der Tür oder wohl schon im Raum stehende Pandemie durch das Kugelvirus „COVID-19“. Während sich die Berichterstattung in der Öffentlichkeit vordergründig um medizinische Fragen dreht, erlangt das Virus wohl auch Bedeutung für die Finanzberichterstattung.
Da die Abschlüsse und Lageberichte für das Jahr 2019 in weiten Teilen noch nicht aufgestellt bzw. noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben sein dürften, sind Auswirkungen der Pandemie auf die Berichterstattung kaum zu vermeiden. Welche Folgen können sich aus dem Auftreten von COVID-19 für die Finanzberichterstattung des am 31.12.2019 beendeten Geschäftsjahres ergeben?
Die Wahrnehmung des Corona-Problems liegt sicher im Wesentlichen im Kalenderjahr 2020. Damit stellt sich die nicht ganz banale Frage, ob es sich gem. dem Stichtagsprinzip um ein wertbegründendes Ereignis im Geschäftsjahr 2020 oder um eine wertaufhellende Information über die Verhältnisse zum Ende des Geschäftsjahres 2019 handelt, die erst im neuen Geschäftsjahr 2020 bekannt wurde (§ 252 Abs. 1 Nr. 3, 4 HGB, IAS 10.3). Mir fällt bei solchen Fragen, die Beantwortung nicht immer leicht. Der Übersprung des Virus vom Tier auf den Menschen ist wohl im Jahr 2019 zu vermuten. Andererseits ist das Scheitern einer lokalen Eingrenzung der Infektion und damit weltweiter Folgen eher dem Jahr 2020 zuzuordnen. Mithin spricht einiges dafür, die Pandemie und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen als wertbegründendes Ereignis bzw. non‑adjusting event after the reporting period einzuordnen. Damit sind Auswirkungen auf die Bilanz und Erfolgsrechnung des Geschäftsjahres 2019 grundsätzlich eher nicht zu sehen. Wo ein Grundsatz, da auch eine Ausnahme: Going Concern! Dazu später mehr.
Anders sieht es für die Berichterstattung im Anhang und im Lagebricht aus. Das HGB verlangt im Anhang eine Berichterstattung über „Vorgänge von besonderer Bedeutung, die nach dem Schluss des Geschäftsjahrs eingetreten und weder in der Gewinn- und Verlustrechnung noch in der Bilanz berücksichtigt sind, unter Angabe ihrer Art und ihrer finanziellen Auswirkungen“ (§ 285 Nr. 33 HGB, entsprechend § 314 Abs. 1 Nr. 35 für den Konzern). Soweit ein Unternehmen also von Corona betroffen ist oder voraussichtlich betroffen sein wird, ist zwingend darüber zu berichten. Nicht ganz einfach wird die Abschätzung der finanziellen Auswirkungen sein. Allein ein Verweis auf bestehende Unsicherheiten reicht aber keinesfalls aus, um auf eine Angabe zu den möglichen Auswirkungen zu verzichten. Nach h.M. reichen jedoch ggf. qualitative Angaben zu den Auswirkungen aus.
Im Lagebericht ergeben sich Auswirkungen auf den Prognose- sowie Risiko- und Chancenbericht. DRS 20.120 gibt vor, dass die der Prognose zugrunde liegenden Annahmen mit den Prämissen, die dem Konzernabschluss etwa bei der Bewertung zugrunde liegen, im Einklang stehen sollen. Daraus könnte man dann schließen, das Stichtagsprinzip gälte auch für die Prognoseberichterstattung. So wohl auch explizit DRS 20.155 für den Risikobericht. Dann wäre das wertbegründende Ereignis nicht in der Prognoseberichterstattung zu verarbeiten und die Berichterstattung beschränkte sich auf den Risiko- und Chancenbericht. Für den Risikobericht fordert DRS 20.155: „Sofern sich Risiken nach dem Schluss des Berichtszeitraums in ihrer Bedeutung ändern, neu auftreten oder entfallen, ist die geänderte Einschätzung der Risiken zusätzlich darzustellen, wenn anders kein zutreffendes Bild von der Risikolage des Konzerns vermittelt wird.“ Dieser Einschätzung folge ich nicht, weil sie den Informationswert des Zukunftsberichts für die Adressaten, der ohnehin durch den fragwürdig kurzen Prognosezeitraum nach DRS 20 entwertet wird, weiter einschränkt. Die Prognose wie auch die Risiko- und Chancenberichterstattung sind zukunftsorientierte Berichtsinstrumente und das Gesetz kennt für den Lagebericht kein Stichtagsprinzip. Mithin wird hier die Auffassung vertreten, für Prognose-, Risiko- und Chancenbericht gilt der Informationsstand zum Ende der Aufstellung des Lageberichts. Aber Achtung: Das Abweichen von einer Auffassung des DRSC birgt für die Praxis das Risiko der Fehlerfeststellung.
Die während der Aufstellungsphase bekannt gewordene Pandemie ist somit nach hier vertretener Auffassung ggf. in der Prognoseberichterstattung zu verarbeiten. Dabei kann sich gegenüber dem Status quo ante eine Verschlechterung ergeben, etwa wegen erwarteter Umsatzeinbrüche. Andererseits ist aber auch eine erhebliche Verbesserung der erwarteten Geschäftsentwicklung vorstellbar, etwa bei Anbietern von Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln. Eine bestehende Unsicherheit bezüglich der künftigen Entwicklung enthebt nicht von der Verpflichtung zur Prognoseberichterstattung. Das hat die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der sog. Finanzkrise klar und zutreffend herausgestellt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2009 WpÜG 11/09 und 12/09). Zur Berücksichtigung einer außergewöhnlich großen Unsicherheit vgl. auch DRS 20.133 f.
Im Risiko- und Chancenbericht ist über mögliche Abweichungen von der Prognose oder Zielen des Unternehmens zu berichten. Für Details kann auf die Regelungen in DRS 20.135 ff. und insb. DRS 20.146 ff. verwiesen werden. Zu betonen ist dabei DRS 20.149: „Die wesentlichen Risiken sind einzeln darzustellen. Die bei ihrem Eintritt zu erwartenden Konsequenzen sind zu analysieren und zu beurteilen.“ Eine Quantifizierung ist vorzunehmen, sofern das auch in der internen Steuerung vorgenommen wird (DRS 20.152). Folgt man nicht der Auffassung der Berücksichtigung im Prognosebericht beschränkt sich die Berichterstattung insoweit auf den Risiko- und Chancenbericht.
Dankenswerter Weise stellt DRS 20.148 klar, dass bestandsgefährdende Risiken als solche zu bezeichnen sind. Ein erstes Reiseunternehmen hat wohl bereits Insolvenzantrag gestellt. Soweit bei anderen Unternehmen ein bestandsgefährdendes Risiko vorliegt, ist trotz der Gefahr der selbsterfüllenden Prophezeiung darüber zu berichten.
Sollte über die Bestandsgefährdung hinaus die Annahme der Fortführung der Unternehmenstätigkeit (Going Concern) nicht mehr aufrechterhalten werden können, ergeben sich dann auch Rückwirkungen auf Bilanz und Erfolgsrechnung. Das Stichtagsprinzip greift hier nicht. Hierzu verweise ich auf einen früheren Blog (Going Concern oder doch nicht? – Neue berufsständische Regelungen) und meine u.a. Beiträge.
Allen Bloglesern, aber auch allen anderen Menschen wünsche ich Verschonung vor der Infektion oder schnelle Genesung!
Update: Das IDW hat soeben einen fachlichen Hinweis zu Folgen des Corona-Virus auf Berichterstattung und Prüfung veröffentlicht. Daraus ergeben sich, soweit auf den ersten Blick ersichtlich, keine wesentlichen Unterschiede zu den Ausführungen in meinem Blog. Hervorzuheben ist, dass wohl auch das IDW die Anpassung der Prognoseberichterstattung sieht: „Wenn infolge der aktuellen Geschehnisse bereits eine geänderte Erwartung des Managements zu den prognostizierten Leistungsindikatoren besteht, ist dies sachgerechter Weise entsprechend im Prognosebericht zu verarbeiten.“ Der fachliche Hinweis findet sich auf der Webpage des IDW.
Weitere Informationen (kostenfreier Zugriff für Abonnenten):
- Mujkanovic, Non-going concern: Was nun?, StuB 2018, S. 649-655
- Mujkanovic, Going Concern und Prüfungsvorgehen, NWB WP Praxis 2018, S. 81-87
- Mujkanovic, Probleme mit Going Concern und Folgen für das Prüfungsurteil, NWB WP Praxis 2018, S. 116-120
- Mujkanovic, Eigenkapitalmaßnahmen zur Sicherung von Going Concern, StuB 2014, S. 293-298
- Mujkanovic, Going Concern durch nicht direkt das Eigenkapital verändernde Maßnahmen, StuB 2014, S.373-379
- Mujkanovic, Die Erstellung von Sanierungskonzepten, NWB WP Praxis 2014, S. 280-285
- Mujkanovic, Feststellung des Vorliegens von Insolvenzgründen – Grundsätze der Beurteilung nach IDW S11, NWB WP Praxis 2016, S. 276-282