Unternehmen, die (in NRW) nach Erhalt von Corona-Soforthilfen ihren tatsächlichen Liquiditätsengpass zurückgemeldet und einen entsprechenden Schlussbescheid über eine (Teil)-Rückzahlung bekommen und hiergegen nicht geklagt haben, haben keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (OVG Münster, Beschluss v. 11.7.2024 – 4 A 1764/23).
Hintergrund
Unternehmen und Selbständige, die sich in der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 in einem coronabedingten Liquiditätsengpass befanden, konnten Corona-Soforthilfen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen beantragen. Zahlreiche Empfänger von Soforthilfen hatten später in NRW von den Bezirksregierungen ein Wiederaufgreifen ihrer Verfahren begehrt, nachdem einige Verwaltungsgerichte und das OVG Münster rechtzeitig angegriffene Schlussbescheide für rechtswidrig gehalten hatten – ich hatte im Blog berichtet.
Die Bezirksregierungen in NRW haben ein Wiederaufgreifen jeweils abgelehnt, auch angesichts eines entsprechenden Beschlusses der Landesregierung (LT-Vorlage 18/2118/landtag.nrw.de). Danach haben verschiedene Verwaltungsgerichte in NRW entschieden, dass die im Ermessen der Behörden stehende Ablehnung des Wiederaufgreifens rechtlich nicht zu beanstanden war; das hat das OVG Münster jetzt bestätigt.
Wiederaufgreifen bestandskräftiger Verfahren
Was lässt sich aus der OVG-Entscheidung ableiten? Die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte ist ein wesentlicher Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit, die dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung trägt. Dem entspricht, dass selbst objektiv rechtswidrige Verwaltungsakte bei Bestandskraft vollstreckungsfähig sind. Über das Wiederaufgreifen bestandskräftig abgeschlossener Verfahren entscheidet die Behörde in einem eigenem Verwaltungsverfahren (§ 9 VwVfG). Außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens hat die Behörde ein doppeltes Ermessen:
- Ob sie sich überhaupt mit der Sache nochmals beschäftigt, weil ein zwingender Wiederaufnahmegrund vorliegt (§ 51 Abs. 1 VwVfG) oder ob sie sich im Rahmen des Wiederaufgreifensermessens dazu entscheidet (§ 51 Abs. 5 VwVfG), ferner:
- Wie sie dann in der Sache entscheidet, ob sie also den Verwaltungsakt zurücknimmt, ändert oder im Wege eines Zweitbescheids bestätigt (BVerwG, NVwZ 2010 S. 656 (659)).
Hinsichtlich der gesetzlichen Ermächtigung zum Wiederaufgreifen bestandskräftig abgeschlossener Verfahren besteht für den Betroffenen deshalb grundsätzlich nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (§ 40 VwVfG; § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO), und nur in besonderen Ausnahmefällen ein gebundener Anspruch auf ein Wiederaufgreifen. Ist die Aufrechterhaltung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts nicht „schlechthin unerträglich“, so ist es – wie das OVG Münster jetzt für Schlussbescheide bei der Corona-Soforthilfe bestätigt – regelmäßig ermessensfehlerfrei, wenn die Behörde an der Bestandskraft ihrer Bescheide generell festhält und damit dem Aspekt der Rechtssicherheit den Vorzug gibt, obwohl sie sich in der später ergangenen Rechtsprechung als rechtswidrig erwiesen haben.
Auswirkungen auf die Praxis
Die neue Rechtsprechung des OVG Münster gilt nicht nur für Schlussbescheide im Kontext der Corona-Soforthilfe in NRW, sondern bundesweit und ist inhaltlich generell übertragbar, z.B. auch auf Schlussbescheide bei den Corona-Überbrückungshilfe, deren Schlussabrechnung durch prüfende Dritte bis spätestens 30.9.2024 erfolgen muss.
Empfänger von Corona-Wirtschaftshilfen können sich auch nicht auf „Schützenhilfe“ in vergleichbaren Fällen anderer Subventionsempfänger verlassen. Selbst im gerichtlichen Verfahren erstreckt sich nämlich die Rechtskraft erfolgter Entscheidungen nur auf die Streitparteien (§ 121 VwGO). Diese Rechtskraftbindung nach §121 VwGO kann nur auf gesetzlicher Grundlage überwunden werden.
Weitere Informationen:
NWB Online-Nachricht: Corona | Rechtskräftiger Schlussbescheid über NRW-Soforthilfen bleibt bestehen (OVG)