Seit 2.11.2020 gilt der von Bund und Ländern am 28.10.2020 geschlossenen Teil-Lockdown. Neben Kontaktbeschränkungen sind etliche Wirtschaftsbranchen von vollständigen Schließungsanordnungen betroffen, auch wenn der hiermit verbundenen Umsatzausfall entschädigt werden soll. Inzwischen aber nimmt die Klagewelle gegen die neuen Einschränkungen erheblich zu.
Wie ist das zu bewerten?
Hintergrund
Ich habe berichtet: Am 28.10.2020 haben sich die Regierungschefs der Länder und die Bundeskanzlerin zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf umfangreiche Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens verständigt. Diese gelten seit dem 2.11.2020 und sind zunächst bis Ende November befristet. Während Industrie und Handel sowie Kitas, Kirchen und Schulen offen bleiben, müssen Hoteliers und Gastronomen, Theaterintendanten und Konzertveranstalter, Fitnessstudiobetreiber und zahlreiche andere Dienstleister schließen.
Längst nicht jeder nimmt diese neuen Regeln einfach hin. Neben privaten Kontaktbeschränkungen, Reiseeinschränkungen sowie Schließungen von Freizeiteinrichtungen sind vor allem Gastronomiebetriebe, Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und Dienstleistungsbetriebe wie Kosmetik Studios, Tattoo Studios und ähnliche Betriebe von Schließungsanordnungen betroffen, andere – wie Hotels – jedenfalls von Teilschließungen. Die von den temporären Schließungen erfassten Unternehmen, Betriebe, Selbstständigen, Verein und Einrichtungen werden vom Bund zwar eine „Außerordentliche Wirtschaftshilfe“ bekommen, um sie für die finanziellen Ausfälle zu entschädigen.
Dennoch zeigt sich inzwischen, dass viele gewerbliche Unternehmen sich in den Ländern gegen die mit dem Teil- Lockdown verbundenen Betriebsbeschränkungen vor den Verwaltungsgerichten wehren.
Klagewelle nimmt zu
Bereits in der ersten Woche des verordneten Teil – Lockdown zeigt sich, dass anders als beim Lockdown im März/April 2020 die Betroffenen schneller und häufiger gegen die Einschränkungsmaßnahmen gerichtlich vorgehen. Allein beim VG Berlin sind nach einer dpa -Meldung 60 Verwaltungsgerichts-Eilverfahren anhängig. Auch beim VGH München sind es 30 Verfahren, davon 25 im Eilrechtsschutz und fünf im Normenkontrollverfahren gegen die landesrechtliche Infektionsschutzverordnung. Beim OVG Münster waren am Tag nach Beginn des Lockdowns bereits 11 Eilanträge gegen Schließungsanordnungen eingegangen, beim OVG Lüneburg waren es am gleichen Tag sieben Eilanträge.
Das VG Berlin hat zwar unter Geltung des neuen Lockdowns ein Konzertverbot bestätigt (VG Berlin v. 3.11.2020 – VG 14 L 508.20-). Das VG Mainz (1.11.2020, 1 L 843/20.MZ) hat ein seit 2.11.2020 geltendes Betriebsverbot für eine Tennishalle bestätigt. Das ist aber noch kein feststellbarer Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung, dass diese nun unter dem zweiten Lockdown alle Beschränkungsmaßnahmen als rechtmäßig „durchwinkt“. Eher ist zu vermuten, dass es nicht mehr lange dauert, bis die Verwaltungsgerichte wieder an den Parlamentsvorbehalt und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Schutz von Freiheitsrechten erinnern. Der VGH München (v. 19.6.2020, Az. 20 NE 20.1127) hatte bereits im Sommer 2020 bekräftigt, dass § 28 Abs. 1 S.1 Bundesinfektionsschutzgesetz (IfSG) zwar eine Generalklausel für Einschränkungsmaßnahmen formuliert, das behördliche Eingriffsermessen aber auf „notwendige Schutzmaßnahmen“ begrenzt; diese „Notwendigkeit“ hat der VGH München bei beschränkten Bewirtungszeiten in der Gastronomie nicht gesehen.
Bewertung: Was müsste jetzt passieren?
Grundsätzlich erlaubt der Infektionsschutz der Regierung zwar auch intensive Einschränkungen von Grundrechten. Doch je umfassender diese ausfallen, desto besser müssen sie auch begründet werden und in einem vernünftigen Verhältnis zum erreichbaren Ziel stehen, sie müssen „geeignet, erforderlich und zumutbar“ sein. Der Zweck der Unterbrechung von Infektionsketten allein heiligt hierbei noch keine Mittel, erst recht nicht alle bis hin zur Total-Schließung ganzer Gewerbezweige. Aufgrund der hohen Zahlen und der vielen Kontakte der Menschen können die Gesundheitsämter inzwischen in 75 Prozent der Fälle nicht mehr nachvollziehen, wo eine Ansteckung stattgefunden hat.
Und so lässt sich eine treibende Rolle für das Infektionsgeschehen etwa von Theatern und Fitnessstudios auch nicht ausschließen, trotz allen Hygienekonzepten. In Restaurants und Cafés etwa gibt es Kontakte außerhalb von Arbeit und Familie, ohne Maske, dafür aber oft mit vielen Aerosolen in einem geschlossenen Raum.
Lassen sich aber „mit Nichtwissen“ über die Ursachen des Infektionsgeschehens, das selbst die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung am 29.10.2020 vor dem Bundestag eingeräumt hat, rechtssicher grundrechtseinschränkende Maßnahmen verordnen?
Ich meine: Nein!
Angesichts der weiter anhaltenden Infektionsrisiken in der Corona-Pandemie müssen grundrechtseinschränkende Maßnahmen endlich rechtssicherer werden:
Durch Beachtung des Parlamentsvorbehalts, der besagt, dass der vom Volk gewählte parlamentarische Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und sie nicht der Exekutive überlassen darf.
- Durch konkretere gesetzliche Grundlagen im IfSG, die nachvollziehbar und schlüssig sind.
- Durch einen gesetzlichen Befristungsvorbehalt, der sicherstellt, dass vor einer Verlängerung von Eingriffsmaßnahmen deren Notwendigkeit überprüft wird.
Quellen
- VG Berlin v. 3.11.2020 – VG 14 L 508.20 (Pressemitteilung)
- VG Mainz v. 1.11.2020 – 1 L 843/20.MZ (https://vgmz.justiz.rlp.de/)
- BayVGH v. 19.6.2020, Az. 20 NE 20.1127 (Pressemitteilung