Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München hat als bundesweit erstes Obergericht die neue Ermächtigungsgrundlage für infektionsschutzrechtliche Eingriffsmaßnahmen (§ 28a IfSG) für verfassungsgemäß erklärt (VGH München vom 8.12.2020, 20 NE 20.2461).
Die rechtskräftige Entscheidung hat über den entschiedenen Fall hinaus Signalwirkung für ganz Deutschland.
Hintergrund
Mit dem „Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 18.11.2020 (BGBl 2020 I S. 2397) wurde auch das Bundesinfektionsschutzgesetz (IfSG) geändert. In dem nachgebesserten IfSG hat der Bund in Gestalt von § 28a IfSG eine neue Rechtsgrundlage für weitreichende Eingriffsmaßnahmen in Freiheitsrechte im Zuge der Corona-Pandemie beschlossen.
§ 28a IfSG sieht einen Katalog möglicher Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie vor, etwa Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten und öffentlichen Raum, Abstandsgebote, die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sowie Beschränkungen für den Kultur- und Freizeitbereich und die Schließung von Schulen und Kitas. Hierbei nennt § 28a IfSG auch Beschränkungen für Übernachtungsangebote, die Schließung von Einzel- oder Großhandel sowie von Gastronomiebetrieben, Absagen und Auflagen für Veranstaltungen.
Was hat der VGH München entschieden?
Der BayVGH musste sich im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens (§ 47 VwGO) gegen die Neunte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (9. BayIfSMV) mit der Frage befassen, ob diese eine ausreichende gesetzliche Grundlage im bundesrechtlichen IfSG findet.
Nach Ansicht des BayVGH sind die in § 28a IfSG geregelten Befugnisse der Infektionsschutzbehörden zwar „zum Teil sehr weitgehend und in die Grundrechte der Betroffenen tief eingreifend“. Sie seien jedoch speziell auf die Corona-Pandemie „zugeschnitten“. Es sei zudem nicht ersichtlich, dass der Deutsche Bundestag mit seiner Feststellung, dass eine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorliegt, seinen Gestaltungsspielraum überschritten habe.
Diese Feststellung ist notwendig, um die Eingriffe nach dem §28a IfSG zu ermöglichen. Außerdem hätten die Behörden und Fachgerichte auch genügend Spielraum, um eine verhältnismäßige Anwendung der Regelung im Einzelfall sicherzustellen, meint der BayVGH in München.
Bedeutung für die Praxis
Die Verwaltungsgerichte hatten in der Vergangenheit immer wieder moniert, dass – vor allem im Hotel- und Gaststättengewerbe – „erhebliche Grundrechtseingriffe über einen längeren Zeitraum allein durch die Exekutive“ von den Infektionsschutzbehörden angeordnet wurden. Es gebe Zweifel, ob dies mit dem Grundsatz des Parlamentsvorbehalts vereinbar sei, argumentierten die Gerichte. Denn dieser sieht vor, dass weitreichende Entscheidungen – wie die nun vorliegenden Beschränkungen zwecks Pandemiebekämpfung – der Zustimmung des Parlaments bedürfen.
Der BayVGH hat jetzt klargestellt, dass der Gesetzgeber die bisherigen Zweifel des zuständigen VGH-Senats im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt mit § 28a IfSG ausgeräumt habe (VGH-Senat v. 14.4.2020 – 20 NE 20.763, Rz.14 f; 14.4.2020 – 20 NE 20.735, Rz 15; v. 27.4.2020 – 20 NE 20.793, Ls.3; v. 7.9.2020 – 20 NE 20.1981, Rz.25; v. 29.10.2020 – 20 NE 20.2360 Rz. 28; v. 5.11.2020 – 20 NE 20.2468). Das ist – soweit ersichtlich – bundesweit das erste Oberverwaltungsgericht, das den neuen § 28a IfSG auf dem rechtlichen Prüfstand als verfassungsgemäß bestätigt hat. Das ist ein wichtiges Signal für ganz Deutschland: Denn selbst im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren für das neue IfSG hatte die Opposition noch gerügt, dass das neue IfSG „durchgepeitscht“ werde und den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Bestimmtheit und Klarheit bei Grundrechtseingriffen nicht genüge.
§ 28a IfSG war gerade im Hinblick auf die Kritik der Verwaltungsgerichte und die damit verbundene Unsicherheit der landesrechtlichen Verordnungsgeber beim Erlass infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen in das Bundesgesetz eingefügt werden. Die Entscheidung des BayVGH schafft jetzt (erste) Rechtssicherheit, auch wenn das den Gegnern von grundrechtseinschränkenden infektionsschutzrechtlichen Anordnungen während der Corona-Pandemie nicht passt.
Quellen
VGH München v. 8.12.2020 (www.vgh.bayern.de)
Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite BGBl 2020 I S. 2397 (www.bgbl.de)
Von bayerischen Gerichten wurde bisher so gut wie alles abgesegnet, von daher wundert mich die Entscheidung nicht. In anderen Bundesländern wurden den Verordnungsgebern schon eher mal die Grenzen aufgezeigt.