Der Bundesfinanzhof hatte in seinem Urteil v. 16.3.2021 (X R 34/19) den Verzicht auf die aktivische Abgrenzung bei Vorauszahlungen von niedrigen zwei- und dreistelligen Einzelbeträgen als steuerlich unzulässig erachtet. Den Grundsatz der Wesentlichkeit sah der BFH nicht als tragfähige Begründung für den Verzicht auf die Bildung aktiver Rechnungsabgrenzungsposten (RAP). Mit dem Jahressteuergesetz 2022 hat der Gesetzgeber dieses Urteil nun entschärft. Wird damit alles gut?
Der BFH begründete sein damaliges Urteil bei Anerkenntnis der Existenz eines Grundsatzes der Wesentlichkeit vor allem mit dem Wortlaut von § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG, der ein abschließendes Aktivierungsgebot für Ausgaben vorsehe, die unter die gesetzliche Definition für aktive RAP fallen. Der Gesetzeswortlaut sehe kein Wahlrecht vor, weswegen es an einer rechtlichen Grundlage für den Verzicht auf den Ansatz aktiver RAP in Fällen von geringer Bedeutung fehle.
Der BFH ging in seinem Urteil aber noch weiter und sieht den Wesentlichkeitsgrundsatz nur greifen, wenn im Einzelfall ein explizites gesetzliches Wahlrecht zum Ansatz eines Bilanzpostens vorliegt. Nach dieser Denkweise greift der Grundsatz der Wesentlichkeit also nur, wenn der Gesetzgeber für jeden Einzelfall ein explizites Wahlrecht zum Bilanzansatz kodifiziert hat.
Mit dem Jahressteuergesetz 2022 hat der Gesetzgeber einen neuen § 5 Abs. 5 Satz 2 EStG eingefügt und damit ein explizites gesetzliches Wahlrecht für aktive und passive RAP geschaffen: „Der Ansatz eines Rechnungsabgrenzungspostens kann unterbleiben, wenn die jeweilige Ausgabe oder Einnahme im Sinne des Satzes 1 den Betrag des § 6 Absatz 2 Satz 1 nicht übersteigt; das Wahlrecht ist einheitlich für alle Ausgaben und Einnahmen im Sinne des Satzes 1 auszuüben.“ Die Vorschrift ist erstmals für nach dem 31. Dezember 2021 endende Wirtschaftsjahre anzuwenden (§ 52 Abs. 9 Satz 1 EStG). Damit kann nun auf die Abgrenzung von Einzelbeträgen von bis zu 800 € ohne Umsatzsteuer verzichtet werden, wobei die Methodeneinheitlichkeit zu beachten ist.
Die Regelung ist während des Gesetzgebungsverfahrens aufgrund eines Vorschlags des Bundesrates aufgenommen worden und soll der Steuervereinfachung sowie dem Bürokratieabbau sowohl auf Seiten der Steuerpflichtigen und deren Beratern als auch auf Seiten der Finanzverwaltung dienen (BT-Drs. 20/4729 S. 130 f.). Mit der Gesetzesänderung iS des früheren BFH-Beschlusses v. 18.3.2010 (X R 20/09) wurde für den Einzelfall der RAP für Beträge bis zur GWG-Grenze eine Lösung gefunden. Die Festlegung der Methodeneinheitlichkeit ist nachvollziehbar, um eine einseitige steuermindernde Nutzung des Wahlrechts für aktive RAP zu vermeiden.
Man könnte sich zurücklehnen und zufrieden lächeln. Aber als Hochschullehrer und Wirtschaftsprüfer sucht man gerne nach dem Haar in der Suppe. Weiterlesen