Das BMF will mit dem Entwurf eines „Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ u.a. den Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen (§ 233a AO) für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 rückwirkend auf 0,15 % pro Monat (1,8 % pro Jahr) in § 238 AO senken. Wie ist das Vorhaben zu bewerten?
Hintergrund
Über die Höhe der Finanzamtszinsen von 0,5 Prozent/Monat, also 6 Prozent/Jahr wurde seit Jahren in der Politik und vor den Gerichten gestritten – ich habe berichtet. Das BVerfG (v. 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14; 1 BvR 2422/17, BGBl 2021 I S. 4303) hat die Vollverzinsung nach § 233a AO dem Grunde nach zwar als verfassungsgemäß bestätigt; beanstandet wurde allerdings, dass der Gesetzgeber den dabei angewendeten, festen Zinssatz nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO von 0,5 % je vollem Zinsmonat jedenfalls seit 2014 hätte anpassen müssen.
Der aktuelle Zinssatz darf zwar für VZ bis 31.12.2018 weiterhin noch angewendet werden. Die Unvereinbarkeitserklärung hat für VZ ab 1.1.2019 aber zur Folge, dass Gerichte und Verwaltungsbehörden diese Normen insoweit nicht mehr anwenden dürfen, laufende Verfahren waren und sind auszusetzen.
Was plant der Gesetzgeber jetzt?
- Der Zinssatz für Erstattungs- und Nachzahlungszinsen nach 233a AO soll für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 rückwirkend auf 0,15 % pro Monat (1,8 % pro Jahr) gesenkt und damit an die Vorgaben des BVerfG angepasst werden.
- Die Angemessenheit dieses Zinssatzes soll anschließend unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach 247 BGB alle drei Jahre mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume evaluiert werden, erstmals zum 1.1.2026
(weitere Details in der NWB Online-Nachricht: Gesetzgebung | Rückwirkende Anpassung des Zinssatzes für Zinsen nach § 233a AO).
Erste Bewertung
Was ist von den BMF-Plänen zu halten? Positiv ist zunächst, dass das BMF die Zinsanpassung nicht auf die lange Bank schiebt, sondern mit Vorlauf vor der vom BVerfG bis 31.7.2022 gesetzten Frist handelt. Jedenfalls auf den ersten Blick scheint der neue Finanzamtszins ein Schritt in die richtige Richtung, hin zu einem marktgerechten Zinsniveau zu sein. Allerdings hat der Gesetzentwurf aber auch einige „aber´s“:
- Die Neuregelung soll auch nur für offene Fälle gelten (§ 164, § 165 Abs. 1 S. 2 AO). Wer also einen bestandskräftigen Steuerbescheid hat, schaut „in die Röhre“ und muss – zu seinen Lasten – auch mit den höherem Nachzahlungszinssatz von 6 Prozent/Jahr leben.
- Die geplante Regelung beschränkt sich auf eine Anpassung des Zinssatzes bei der Vollverzinsung nach 233a AO für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019. Zeiträume davor, für die das BVerfG ebenfalls einen zu hohen Zinssatz angenommen hat, bleiben also unberührt. Dass der Gesetzgeber hier nicht mehr tut als er nach den BVerfG-Entscheidungen unbedingt erforderlich, ist vermutlich fiskalischen Interessen geschuldet. Für Steuerzahler mit Erstattungsguthaben in VZ 2014 bis 2018 hat das aber auch den Vorteil, dass die ab dem 15. Monat nach Ende des VZ anfallenden Zinsen immerhin noch 6 Prozent betragen – eine schöne Rendite.
- Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber zur Wiederherstellung verfassungskonformer Zustände mehrere Alternativen aufgezeigt: Abschaffung der Vollverzinsung, Absenkung des weiterhin festen Zinssatzes mit Evaluationsklausel oder neuer flexibler Zinssatz. Dass sich der Gesetzgeber jetzt weiterhin für einen neuen starren Zins mit Anpassungsklausel entscheidet, ist nachvollziehbar und praktikabel.
- Der jetzt vorgeschlagene neue feste Zinssatz von 0,15 Prozent /Monat (also 1,8 Prozent/Jahr) bewegt sich ungefähr im Mittel zwischen aktuellen durchschnittlichen Habenzinsen (0,0 Prozent) und Kreditzinsen bei Verbraucherkrediten (3,8 Prozent/Monat). Nun könnte man genüsslich über Nachkommastellen der neuen Zinsberechnung streiten, allerdings ohne entscheidenden Erkenntnisgewinn. Im Interesse eines (mittelfristig) marktgerechten Zinses ist auch zu berücksichtigen, dass der der Gesetzgeber eine Evaluationsklausel mit dreijähriger Überprüfung eingebaut hat.
- Wenig erfreulich ist aber (da auch beim BVerfG-Verfahren nicht streitgegenständlich), dass der Gesetzgeber die Zinsanpassung auf Erstattungs- und Nachzahlungszinsen beschränkt. Andere Zinsen nach der AO (Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen) werden ausdrücklich ausgenommen, auch Zinssätze nach den Einzelsteuergesetzen (z.B. in § 6a EStG) werden vom Gesetzgeber nicht „angepackt“. Das ist bedauerlich, weil auch in den anderen Regelungsbereichen marktgerechte Verzinsungssätze erforderlich scheinen. Warten wir also ab, ob der Gesetzgeber im weiteren Verfahren noch nachbessert….
Weitere Informationen:
BMF-Referentenentwurf