Bürgergeld für Reiche? Sozialreform mit Licht und Schatten

Am 10.11.2022 hat der Bundestag mit der Regierungsmehrheit den Gesetzentwurf eines Bürgergeldes beschlossen, das ab 1.1.2023 an die Stelle der bisherigen Hartz-IV-Regelungen treten soll. Das Reformpaket enthält vernünftige Ansätze, aber verdient auch nach wie vor Kritik.

Hintergrund

Ich habe bereits im Blog berichtet. Das am 14.9.2022 vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachte sog. Bürgergeld soll ab 1.1.2023 das heutige sog. Hartz-IV-System ablösen. Die Ampelkoalition will hiermit ein Kernvorhaben aus dem Koalitionsvertrag (S. 75 ff, Ziff.2471 ff.) umsetzen. Nach dem vom Bundestag beschlossenen Entwurf sollen sich die über 5 Millionen Menschen, die in Deutschland Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beziehen, stärker auf Qualifizierung, Weiterbildung und Arbeitsuche konzentrieren können, heißt es.

Mehr Schatten als Licht

Wie sind die Pläne der Ampel nun zu bewerten? Um es klar zu sagen: Natürlich gibt es auch in unserer Wohlstandsgesellschaft genügend Bedürftige, denen geholfen werden muss, wie es bereits das verfassungsrechtliche Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) verlangt. Deshalb sind viele Regelungen des neuen Bürgergeldes richtig: Wenn Arbeitslose künftig nicht mehr in den nächstbesten Job gedrängt werden, sondern eine Ausbildung machen können, die dauerhaft eine auskömmliche Beschäftigung sichert, dann ist das richtig. Wenn Schülern, Studenten, Auszubildenden in einem Haushalt in Not künftig weniger abgezogen und angerechnet wird, wenn sie jobben, dann ist das richtig. Und wenn auch Hilfsempfänger einen Inflationsausgleich durch Anhebung der Regelsätze, Übernahme der Wohnkosten oder der Krankenversicherung bekommen, dann ist das auch Ausdruck eines Sozialstaats, der bedürftige Bürger nicht im Stich lässt.

Wenn aber das neue Bürgergeld auch Sozialleistungen für Reiche vorsieht, ist das ein fatales, ein falsches Signal: Vermögen soll nicht berücksichtigt werden, sofern es nicht erheblich ist. Leistungsberechtigte müssen nur eine Selbstauskunft erteilen, um zu bestätigen, dass ihr Vermögen die Grenzwerte für das Schonvermögen nicht überschreitet. Der Bundesrechnungshof – eine auf staatliche Sparsamkeit bedachte Instanz – hat unlängst vorgerechnet, dass selbst ein Ehepaar mit zwei Kindern, 150.000 Euro Spar- und Barvermögen, Altersvorsorgevermögen, zwei Autos und einem Eigenheim noch Bürgergeld erhalten könnte. Ist das wirklich vernünftig, Reiche in dieser Form zu unterstützen?

Es soll auch eine „Vertrauenszeit“ geben, während deren Dauer es keine Sanktionen gibt, auch wenn sich jemand prinzipiell nicht um Arbeit bemüht. Wer Termine nicht wahrnimmt, muss nach dem Gesetz zwar auch weiterhin mit Sanktionen rechnen – allerdings nur im Wiederholungsfall. Leistungsminderungen wegen wiederholter Pflichtverletzungen und Meldeversäumnisse betragen dann höchstens 30 Prozent des maßgebenden monatlichen Regelbedarfs. Schafft der Staat mit solcher Großzügigkeit nicht falsche Anreize und fordert zum Missbrauch auf?

Mein Fazit bleibt deshalb: Das Reformpaket hat nach wie vor mehr Schatten als Licht, es gehört nachgebessert. Deshalb darf man gespannt sein, ob der Bundesrat in der Sondersitzung am Montag dem Bürgergeldgesetz die erforderliche Zustimmung erteilt. Wenn nein, geht es in den Vermittlungsausschuss, das Ziel der Ampel, das neue Gesetz zum 1.1.2023 unter Dach und Fach zu haben, lässt sich dann nicht mehr erreichen. Aber auch dann gilt: Lieber (erstmal) kein Gesetz als ein falsches Gesetz!

Quellen


Update 14.11.2022 14:00

Das Bürgergeldgesetz hat vom Bundesrat keine Zustimmung erhalten. Nun ist der Vermittlungsausschuss gefragt. Lesen Sie hierzu folgenden Beitrag.

Ein Kommentar zu “Bürgergeld für Reiche? Sozialreform mit Licht und Schatten

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