Die für viele eingeschworene Europäer als mit tiefer Erschütterung wahrgenommene Volksbefragung zum Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) aus der EU liegt nun bereits über zwei Jahre (Juni 2016) zurück. Am 29.3.2017 wurde der Europäische Rat von der Absicht UKs zum Austrittsbegehren informiert. Dadurch ist das formelle Verfahren des Art. 50 EUV zum Austritt aus der Union eingeleitet worden. Es verbleiben nach der Mitteilung zwei Jahre Zeit, sich über die Austrittsmodalitäten einig zu werden. Das Zeitfenster schließt sich mithin im März kommenden Jahres. Dabei stellt sich die Frage nach dem Stand zum Austrittsverfahren.
Wie wird der Austritt abgewickelt?
In einem ersten Schritt sieht das Austrittsverfahren nach Mitteilung der Austrittsabsicht die Aushandlung eines Abkommens vor, welches die Einzelheiten des Austritts und gleichermaßen den zukünftigen Rahmen für das Verhältnis zwischen austretendem Staat und Union abbildet. Dieses auszuhandelnde Abkommen wird von der Union (Kommission oder Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, wenn dies erforderlich ist) verhandelt. Die Hohen Vertreter der Mitgliedstaaten wirken im Falle des Brexits mit, da die Kompetenz für das auszuhandelnde Abkommen auch bei ihnen liegt (Art. 218 AEUV: Vertragsschlussverfahren).
Tritt das so verhandelte Austrittabkommen in Kraft, finden die Verträge der Union keine Anwendung mehr. In jedem Fall wird die Anwendung der Verträge nach Ablauf der Zweijahresfrist suspendiert. Das Abkommen wird vom Rat mit qualifizierter Mehrheit angenommen bzw. abgelehnt. Tritt keine Einigung ein, verbleibt es bei der Austrittsfrist von zwei Jahren ohne weitere Regelung des Verhältnisses zwischen der EU und UK. Will UK wieder der EU beitreten – der Austritt ist nach Abschluss des Verfahrens final – muss sie den Beitritt nach Art. 49 EUV erneut beantragen.
Was ist die Konsequenz des Austritts?
Nach Ablauf der Austrittsfrist finden die „Verträge“ keine Anwendung mehr. Was sich hinter den „Verträgen“ alles verbirgt soll zunächst kurz umrissen werden.
Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) als Primärrecht gelten nicht mehr. Maßgeblich für den Binnenmarkt sind hier die Grundfreiheiten des AEUV, nämlich die Warenverkehrs-, Dienstleistungs-, Kapitalverkehrsfreiheit und die Personenfreizügigkeit. Nur noch die Kapitalverkehrsfreiheit findet für UK nach dem Austritt Anwendung.
Zudem wird das Sekundärrecht mit seinen günstigeren Rechtsfolgen im Verhältnis zum UK unanwendbar. U.a. die Mutter-Tochter-Richtlinie, die Zins- und Lizenz-Richtlinie oder EU-Streitbeilegungsrichtlinie finden keine Anwendung mehr. Es stellt sich ferner die Frage der Behandlung von Gesellschaften wie der Ltd.
Als erstes Zwischenfazit ist festzustellen: UK wird ein Drittstaat wie alle anderen Staaten auch, die nicht in der EU sind!
Was ergibt sich konkret im Verhältnis zu Regelungen des deutschen Steuerrechts?
Die Frage der Konsequenz für das Verhältnis zwischen Deutschland und UK hängt zunächst vom Ergebnis des Austrittsabkommens ab: „Harter Brexit“ (komplette Abkapslung von der EU, Freihandelsabkommen müssten abgeschlossen werden) oder „weicher Brexit“ (kein EU-Mitgliedstaat mehr, aber Zugang zum europäischen Binnenmarkt und dafür ein Beitrag UK´s zum EU-Haushalt).
Der Entwurf eines Austrittsabkommens sieht noch einen Übergangszeitraum vom 30.3.2019 bis zum 31.12.2020 vor. Im Regierungsentwurf zum Brexit-Übergangsgesetz v. 5.9.2018 ist die Fiktion UKs als EU-Mitgliedstaat für den Zeitraum vorgesehen.
Die Frage der EU-Mitgliedschaft ist für steuerliche Anknüpfungspunkte auch im nationalen Recht relevant, die zwischen EU und Drittstaat differenzieren. Zu unterscheiden ist zwischen innerstaatlichen Regelungen, die zur Auslösung der Besteuerung ein Zutun des Steuerpflichtigen erfordern und solchen, die alleinig durch den Brexit selber ausgelöst werden können.
Während Normen die Vorteile (§ 6 Abs. 5 AStG: Stundungsmöglichkeit) von der (steuerlich nachteiligen) Handlung des Steuerpflichtigen abhängig machen (Übertragung Anteile aus Kapitalgesellschaft auf eine in UK ansässige Person) oder den Nachteil direkt bewirken (§ 12 Abs. 3 KStG: Sitzverlegung einer Körperschaft bzw. zum Wechsel dessen Orts der Geschäftsleitung in einen Drittstaat) lösen anderen Vorschriften die zwangsläufigen Rechtsfolgen nicht durch eine selbstbestimmte Handlung des Steuerpflichtigen aus. Steuerliche Rechtsfolgen können ohne ein Zutun des Steuerpflichtigen eintreten, indem allein der Brexit einen Besteuerungstatbestand auslöst.
Unter dem Stichwort „Brexit als schädliches Ergebnis“ befasst sich der Referentenentwurf des BMF v. 9.10.2018 mit einem Gesetz „über steuerliche Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Steuerbegleitgesetz)“ mit dieser Frage und ordnet Anpassungen anlässlich des Brexits an.
Ertragsteuerlich ist durch den Gesetzesentwurf eine Änderung des § 4g EStG vorgesehen, wonach in der jetzigen Fassung gebildete Ausgleichsposten für Wirtschaftsgüter, die zuvor in einer in UK belegenen Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen zugeordnet wurden, sofort auszulösen wären. Eine Änderung wird dahingehend vorgenommen, dass auch nach dem Brexit eine reguläre Auflösung über maximal fünf Jahre stattfinden kann.
Darüber hinaus werden bestandschutzrechtliche Anpassungen im Zusammenhang zu Einbringungsgewinnen, Riester-Förderungen, im Bausparkassen- und Pfandbriefgesetz und redaktionelle Anpassungen im Umsatzsteuergesetz gemacht.
Durch das Brexit-Steuerbegleitgesetz sieht das BMF eine Beibehaltung des aktuellen Status der UK-Steuerpflichtigen in Teilbereichen vor und schafft dort Rechtssicherheit. Dieser parallel zum Austritt verlaufende deutsche Prüfungsmodus der Steuergesetze ist begrüßenswert.
Es verbleiben allerdings u.a. ungeklärte Fragestellungen für Organschaften (Sitz EU/EWR), bei der Hinzurechnungsbesteuerung (Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit), bei der Gewerbesteuer (Kürzung nach § 9 Nr. 7 GewStG), die es noch zu klären gilt.