BMF-Schreiben zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung: (Zurecht) kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. 175 AO? (Teil II)

Hintergrund

Mit Schreiben vom 18.09.2020 hat das BMF umfassend zur Rückwirkung der Rechnungsberichtigung und zum Vorsteuerabzug ohne ordnungsgemäße Rechnung Stellung bezogen. Das präzise und klar formulierte Schreiben enthält unter anderem auch die Aussage, dass eine Anwendung der Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht in Frage komme, da die Berichtigung einer Rechnung mit Rückwirkung kein Ereignis ist, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit entfaltet.

Einer Einordnung als rückwirkendes Ereignis erteilt das BMF damit eine Absage. In ganz ähnlicher Form wird diese Aussage wohl mit dem Jahressteuergesetz 2020 Eingang in das Umsatzsteuergesetz finden. So ist geplant, in § 14 Abs. 4 Satz 4 UStG-E aufzunehmen, dass „die Berichtigung einer Rechnung um fehlende oder unzutreffende Angaben (…) kein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und § 233a Absatz 2a der Abgabenordnung“ ist.

Für die Steuerpflichtigen kann dies unter Umständen gravierende Folgen mit sich bringen, die nachfolgend dargestellt werden.

 Folgen für die Praxis: Finaler Vorsteuerabzugsverlust

Will der Steuerpflichtige eine Rechnungsberichtigung für einen Zeitraum vornehmen, für welchen die Festsetzungsverjährung bereits eingetreten ist, so kann es zu einem finalen Verlust des Vorsteuerabzugs kommen. Denn die rückwirkende Rechnungsberichtigung entfaltet nur Wirkung, wenn das Jahr, in dem die Erstrechnung erstellt wurde, verfahrenstechnisch noch offen ist. Ist die entsprechende Festsetzung nicht mehr zu ändern, etwa weil der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben ist und keine anderweitige Korrekturvorschrift existiert, kann die Änderung nicht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt werden.  Der Zinslauf bei rückwirkenden Ereignissen nach § 233 Abs. 2a AO kommt nicht zur Anwendung.

Bereits im Entwurf des besagten BMF-Schreibens zur Rechnungsberichtigung war ein Anwendungsausschluss der entsprechenden AO-Vorschrift angekündigt worden. Der Deutsche Steuerberaterverband (DStV) bemängelte diesen Ausschluss frühzeitig in seiner Stellungnahme vom 12.11.2018 (S 13/18) und forderte, dass „zur stringenten Umsetzung des Neutralitätsgedankens der Umsatzsteuer (…) die Finanzverwaltung ihre restriktive Sichtweise zum Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses bei rückwirkender Rechnungsberichtigung überdenken“ sollte. Geschehen ist dies leider nicht, so dass ein Restrisiko für den Steuerpflichtigen bleibt.

Rückwirkende Rechnungsberichtigung sollte Änderungsmöglichkeit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ermöglichen

Dass das BMF – und wohl mithilfe des Jahressteuergesetzes 2020 auch der deutsche Gesetzgeber – diese Sicht vertritt und ihn in Gesetzestext meißeln wird, ist bedauerlich und zugleich riskant. Denn bedacht werden sollte: Zwar sind national kodifizierte Verjährungsfristen mit dem Unionsrecht vereinbar. Betrachtet man jedoch die Nachfolgeentscheidungen zu „Senatex“ seitens des EuGHs, so kann die deutsche Sichtweise als fraglich eingestuft werden. In den beiden Entscheidungen (RS Volkswagen, C-533/16; RS Biosafe, C-8/17) konstatierte der EuGH nämlich, dass es in solchen Fällen, in welchen der Leistungsempfänger erst zu einem späteren Zeitpunkt eine ordnungsgemäße Rechnung erhält und er an einem verspäteten Vorsteuerabzug kein Verschulden hat, unionsrechtlich erforderlich sein kann, eine abgelaufene Festsetzungsfrist zu durchbrechen. Sie betrug in den beiden Nachfolgeentscheidungen jeweils 5 Jahre. Ob die deutsche Sichtweise daher mit dem Unionsrecht vereinbar ist, erscheint meiner Meinung nach fraglich, enthält sie doch gerade keine Ausnahmen.

Weitere Informationen:
BMF v. 18.09.2020 – III C 2 – S 7286-a/19/10001 :001

Lesen Sie hierzu auch Teil 1

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