BMF äußert sich zur Wirksamkeit inkongruenter Gewinnausschüttungen

Inkongruente Gewinnausschüttungen werden in der Gestaltungspraxis gerne eingesetzt und sowohl vom BFH als auch von der Finanzverwaltung grundsätzlich akzeptiert, auch wenn sich letztere damit jahrelang – wenn nicht jahrzehntelang – schwergetan hat. Mit Schreiben vom 17.12.2013 (BStBl 2014 I S.63) hatte das BMF jedoch die Voraussetzungen für die Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen formuliert. Danach galt bzw. gilt in Bezug auf GmbHs:

Die steuerliche Anerkennung einer inkongruenten Gewinnausschüttung setzt voraus, dass eine vom Anteil am Grund- oder Stammkapital abweichende Gewinnverteilung zivilrechtlich wirksam bestimmt ist. Dies ist bei der GmbH der Fall, wenn der Gesellschaftsvertrag einen anderen Maßstab der Verteilung als das Verhältnis der Geschäftsanteile erlaubt. Oder: Die Satzung enthält anstelle eines konkreten Verteilungsmaßstabs eine Klausel, nach der alljährlich mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter oder einstimmig über eine von der satzungsmäßigen Regelung abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann, und der Beschluss ist mit der in der Satzung bestimmten Mehrheit gefasst worden.

Nicht anerkannt wurde es bislang, wenn lediglich ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente (Vorab-)Ausschüttung vorlag.

Im Jahre 2022 hat der BFH jedoch entschieden, dass auch ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss anzuerkennen ist (BFH-Urteil vom 28.9.2022, VIII R 20/20).

Nunmehr hat das BMF seine Grundsätze zur steuerlichen Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen überarbeitet (BMF-Schreiben vom 4.9.2024, IV C 2 – S 2742/19/10004: 003). Inkongruente Gewinnausschüttungen sind danach – wie bislang – steuerrechtlich grundsätzlich anzuerkennen, wenn sie zivilrechtlich wirksam sind. Die Fälle mit „zivilrechtlicher Wirksamkeit“ sind aber erweitert worden. Insbesondere in folgenden Fällen sind inkongruente Gewinnausschüttungen anzuerkennen:

  • Abweichende Regelung der Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag: Es wurde im Gesellschaftsvertrag gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG ein anderer Maßstab der Verteilung als das Verhältnis der Geschäftsanteile festgesetzt und die Ausschüttung entspricht diesem Verhältnis. Für eine nachträgliche Änderung des Gesellschaftsvertrags zur Regelung einer inkongruenten Gewinnverteilung ist die Zustimmung derjenigen Gesellschafter erforderlich, die von der Veränderung nachteilig betroffen sind.
  • Öffnungsklausel für abweichende Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag: Der Gesellschaftsvertrag enthält eine Klausel, nach der mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter eine von der satzungsmäßigen oder gesetzlichen Regelung abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann, und der Beschluss ist mit den erforderlichen Gesellschafterzustimmungen und der gegebenenfalls im Gesellschaftsvertrag bestimmten Mehrheit gefasst worden.
  • Punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss: Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung mit den Stimmen aller Gesellschafter gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen. Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss liegt vor, wenn seine Wirkung sich in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft, sodass die Satzung durch den Beschluss zwar verletzt wird, aber nicht mit Wirkung für die Zukunft geändert werden soll. Ein satzungsdurchbrechender Gesellschafterbeschluss, der einen vom Regelungsinhalt der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand mit Dauerwirkung (und sei es auch nur für einen begrenzten Zeitraum) begründet, ist (selbst im Fall eines einstimmig gefassten Beschlusses) nichtig, wenn bei der Beschlussfassung nicht alle materiellen und formellen Bestimmungen einer Satzungsänderung (insbesondere die notarielle Beurkundung und Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister gemäß § 53 Abs. 3 Satz 1, § 54 Abs. 1 GmbHG) eingehalten werden.
  • Gespaltene Gewinnverwendung, zeitlich inkongruente Gewinnausschüttung: Im Urteil vom 28.9.2021 (VIII R 25/19) hat der BFH entschieden, dass ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallene Anteil am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen ist. Dies gilt auch dann, wenn zugleich die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden. Die Einstellung eines Gewinnanteils in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt auch bei einem beherrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG.

Bei einer AG sind inkongruente Gewinnausschüttungen nur anzuerkennen, wenn in der Satzung gemäß § 60 Abs. 3 AktG ein vom Verhältnis der Anteile am Grundkapital (§ 60 Abs. 1 AktG) abweichender Gewinnverteilungsschlüssel festgelegt wurde und die Ausschüttung diesem Verhältnis entspricht. Eine inkongruente Gewinnausschüttung aufgrund einer Öffnungsklausel in der Satzung oder eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses erfüllen diese Voraussetzung nicht.

Denkanstoß:

Es ist erfreulich, dass nun auch das BMF punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse über eine inkongruente Vorabausschüttung anerkennt. Dennoch ist es sinnvoller, bereits im Vorfeld entsprechende Satzungsbestimmungen zu treffen.

Und noch ein Wort zu inkongruenten bzw. disquotalen Einlagen. Hier sollte unbedingt das BFH-Urteil vom 10.4.2024, II R 22/21 beachtet werden. Der BFH hat entschieden, dass die Freigebigkeit der Leistung an die Gesellschaft – anders als beim Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG – nicht Voraussetzung für die Steuerbarkeit ist. Damit können disquotale Einlagen Schenkungsteuer in erheblicher Höhe auslösen. Beachten Sie dazu den „Aufreger des Monats Oktober: Schenkungsteuer auch ohne Schenkung? Ja, das geht!

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