Bilanztricks im Boom: Warum geschönte Zahlen Hochkonjunktur haben

Ein Paradies für kreative Buchhalter? Bilanzfälschungen und kreative Bilanzkosmetik sind kein neues Phänomen. Doch aktuell erleben wir eine Zeit, in der der Nährboden für geschönte oder gar manipulierte Zahlen besonders fruchtbar ist. Aber warum? Ein Blick auf die aktuellen Rahmenbedingungen zeigt: Die Versuchung ist größer denn je.

Der Druck steigt – und mit ihm die kreativen Methoden

Unternehmen stehen unter massivem Druck. Steigende Zinsen, hohe Energiekosten, globale Krisen und ein unsicheres wirtschaftliches Umfeld sorgen für angespannte Bilanzen. Vorstände und Finanzchefs wissen: Wer schwächelt, verliert Investorenvertrauen. Und genau hier liegt das Problem. Wenn die Geschäftszahlen nicht gut aussehen, liegt die Versuchung nahe, etwas nachzuhelfen. Eine kreativ ausgelegte Bilanz kann das Bild kurzfristig verbessern – bis die Realität sie einholt.

Gerade börsennotierte Unternehmen sehen sich zudem unter dem Druck der Quartalsberichterstattung. Analysten erwarten konstante oder steigende Gewinne, und ein schwacher Bericht kann zu Kursverlusten führen. So entsteht eine gefährliche Spirale: Erwartungen müssen erfüllt werden, koste es, was es wolle. Und wenn das operative Geschäft nicht mitzieht, hilft manchmal nur ein kreativer Bilanzkniff.

Die Aktivierungsfalle

Entwicklungskosten als Retter in der Not? Besonders beliebt bei kreativen Buchhaltern ist das Aktivieren von Entwicklungskosten. Warum sofort als Aufwand verbuchen, wenn man sie als immateriellen Vermögenswert ausweisen kann? Gerade in technologiegetriebenen Branchen kann das bilanziell wahre Wunder wirken. Doch wenn sich das Geschäftsmodell nicht wie geplant entwickelt oder die Innovation scheitert, wird aus der schönen Bilanz schnell ein Scherbenhaufen.

Zudem fehlt es oft an klaren Bewertungsmaßstäben. Wann ist eine Entwicklung wirklich werthaltig? Wie lange kann eine Innovation tatsächlich wirtschaftlichen Nutzen bringen? Die Antworten darauf sind oft subjektiv – und genau das macht diese Bilanzposition so manipulationsanfällig.

Goodwill – ein Fass ohne Boden?

Ein weiteres Einfallstor für kreative Bilanzkosmetik ist der sogenannte Goodwill. Unternehmen, die Übernahmen tätigen, weisen oft hohe immaterielle Werte aus. Die Abschreibung? Häufig auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Kritisch wird es, wenn diese Werte nie realisiert werden und sich irgendwann in Luft auflösen.

In der Praxis zeigt sich immer wieder, wie gefährlich überbewertete Goodwill-Positionen sein können. Sobald eine Wertminderung nötig wird, kann dies das gesamte Eigenkapital auffressen – und das Kartenhaus zusammenbrechen lassen.

Regulierung und Kontrollen

Zu lasch oder zu kompliziert? Nach den großen Bilanzskandalen der vergangenen Jahre wurden die regulatorischen Zügel angezogen. Doch das System hat Lücken: Vieles basiert auf Selbstkontrolle, und Prüfmechanismen greifen oft erst, wenn es zu spät ist. Zudem sind Vorschriften oft so komplex, dass sie sich mit gutem Willen (oder gutem Anwalt) kreativ auslegen lassen.

Und die Abschlussprüfer? Dazu möchte ich Ihnen die Lektüre der Blogbeiträge am Ende des Beitrags empfehlen. Und eines sei gesagt: Die Prüfer sind nicht immer an allem schuld. Erinnern wir uns beispielsweise an den Fall von Adler Immobilien, als im April 2022 KPMG das Testat verweigert hat.

Ein Blick in die Zukunft

Wird es besser oder schlimmer? Wird sich das Problem der aufgehübschten Bilanzen in Zukunft verschärfen oder abmildern? Einerseits könnte die zunehmende Digitalisierung helfen, durch KI-gestützte Prüfungen Unregelmäßigkeiten schneller aufzudecken. Andererseits wächst auch das kreative Potenzial der Unternehmen, da neue Technologien neue Manipulationsmöglichkeiten bieten.

Zudem könnte der wirtschaftliche Druck durch geopolitische Spannungen, Inflationsrisiken und Rezessionserwartungen weiter steigen. In unsicheren Zeiten steigt oft die Bereitschaft, finanzielle Realität und Wunschdenken miteinander zu vermischen – mit potenziell fatalen Folgen.

Mein Fazit

Ein gefährlicher Trend. Die aktuelle wirtschaftliche Lage schafft einen perfekten Sturm für Bilanztricksereien. Die Kombination aus hohem Druck, schlauen Buchhaltungsstrategien und lascher Kontrolle macht es für Unternehmen verlockend, die Realität etwas zu schönen. Aufsichtsräte, Anleger und Prüfer sind gut beraten, genau hinzusehen – bevor der nächste Skandal aufgedeckt wird.

Was bedeutet das für die Praxis? Für Investoren, Analysten und Berater gilt: Kritisch bleiben! Besonders bei hohen Aktivierungsquoten, fragwürdigem Goodwill und Ausweitung der Grenze legalen bilanzpolitischen Spielräume im Jahresabschluss sollten die Alarmglocken schrillen. Auch Unternehmen sollten sich bewusst sein: Was kurzfristig hilft, kann langfristig zum Bumerang werden. Denn oft ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Wahrheit ans Licht kommt – und dann wird es teuer.

Weitere Informationen:

Ein Beitrag von:

  • Dr. Carola Rinker

    • Diplom-Volkswirtin und Unternehmensberaterin
    • Erstellung von (Gerichts-)Gutachten, Stellungnahmen und Analysen zu Bilanzierungssachverhalten
    • Fachbuchautorin
    • Anhörung als Sachverständige im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Wirecard Skandal des Deutschen Bundestages und im Finanzausschuss zum FISG
    • Mehr unter carolarinker.de

    Warum blogge ich hier?
    Aus Interesse an den Themen. Aus Spaß. Aus Netzwerk-Gründen. Als Ergänzung zu meiner Arbeit als Unternehmensberaterin und meinen Lehrveranstaltungen ist das Bloggen wunderbar geeignet. Ein Blog bietet die Möglichkeit, sich in einzelne Themen zu vertiefen – und sich anschließend mit Lesern darüber auszutauschen. Da jedes Jahr neue Jahresabschlüsse von Unternehmen vorgelegt werden und sich die Regeln der Bilanzierung ständig ändern, wird mir der Stoff nie ausgehen.

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