In einem aktuellen Urteil hat der BGH (11.5.2023 – III ZR 41/22/NWB Online-Nachricht) zu der Frage entschieden, ob der Staat für Einnahmeausfälle haftet, die durch die vorübergehende landesweite Schließung von Gewerbebetrieben (hier: Frisör) im Frühjahr 2020 im Rahmen der Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus entstanden sind („erster Lockdown“). Die klare Antwort: Nein!
Worum ging es im Streitfall?
Die Klägerin betrieb einen Frisörsalon in gemieteten Räumlichkeiten. Durch Verordnungen vom 17. und 20.3.2020 untersagte das beklagte Land Baden-Württemberg vorübergehend den Betrieb zahlreicher Einrichtungen, auch Frisörgeschäfte, zum Schutz vor einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus. Der Betrieb der Klägerin war vom 23.3.2020 bis zum 4.5.2020 geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Die Klägerin war auch nicht ansteckungsverdächtig. Aus dem Soforthilfeprogramm des beklagten Landes erhielt sie 9.000 €, die sie allerdings zurückzahlen muss. Die Klägerin machte geltend, das beklagte Land schulde ihr eine Entschädigung in Höhe von 8.000 € für die mit der Betriebsschließung verbundenen erheblichen finanziellen Einbußen (Verdienstausfall, Betriebsausgaben). Die Maßnahme sei zum Schutz der Allgemeinheit nicht erforderlich gewesen
Wie hat der BGH entschieden?
Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos, auch jetzt vor dem BGH. Die sechswöchige Betriebsuntersagung für Frisöre war nach Ansicht des BGH auch unter Berücksichtigung der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Berufsfreiheit und des von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verhältnismäßig. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates für derartige Fälle wie coronabedingte, befristete Betriebsuntersagungen des Staates Entschädigungsansprüche zu regeln, besteht nicht.
Wie ist die Entscheidung einzuordnen und zu bewerten?
Die BGH- Entscheidung kommt nicht überraschend, sondern entspricht der bisherigen Rechtsprechungslinie: bereits im März 2022 hatte der BGH (BGH-Urteil v. 17.03.2022 – III ZR 79/21) in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine flächendeckende, rechtmäßig angeordnete Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes noch nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht oder kraft Richterrechts Entschädigungsansprüche zustehen. Danach ist bei rechtmäßigen Eingriffsmaßnahmen für Entschädigungen folgendes zu beachten:
- § 56 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 IfSG gewähren Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung noch im Wege verfassungskonformer Auslegung einen Anspruch auf Entschädigung.
- Mit den Verdienstausfallentschädigungen nach § 56 1 und § 56Abs. 1a IfSG, dem Anspruch auf Impfschadenversorgung nach § 60 IfSG und der Entschädigung für Nichtstörer nach § 65 IfSG enthält das IfSG punktuelle, aber auch abschließende Anspruchsgrundlagen, denen das planmäßige Bestreben des Gesetzgebers zugrunde liegt, die Entschädigungstatbestände auf wenige Fälle zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen.
- Entschädigungsansprüchen aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht beziehungsweise aus enteignendem Eingriff steht entgegen, dass die im Zwölften Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes enthaltenen Entschädigungsbestimmungen – jedenfalls für rechtmäßige infektionsschutzrechtliche Maßnahmen – eine abschließende spezialgesetzliche Regelung mit Sperrwirkung darstellen.
- Die Corona-Wirtschaftshilfen (Soforthilfen, Neustarthilfen; Überbrückungshilfen) stellen keine Entschädigungstatbestände dar, sondern sind reine Billigkeitsleistungen des Staates, auf die nur im Hinblick auf eine Rechtsanwendungsgleichheit durch die Verwaltung ein Anspruch im Rahmen von verfügbaren Haushaltsmitteln besteht.
Fazit:
Rechtmäßig auf Grundlage der §§ 28 Abs.1 S. 1; 32 Satz1 IfSG angeordnete, zeitlich befristete Betriebseinschränkungen, haben Gewerbetreibende grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen. Der Staat erfüllte mit Eingriffsmaßnahmen seine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger und verfolgte mithin einen legitimen Zweck. Das Gewicht des Eingriffs in die vorgenannten Grundrechtspositionen wurde durch die verschiedenen und umfangreichen staatlichen (finanziellen) Hilfsmaßnahmen für die von der Betriebsuntersagung betroffenen Unternehmen entscheidend relativiert. Mehr muss der Staat von Verfassungs wegen nicht tun.