BFH: Schluss mit staatlichen Wucherzinsen!?

Die BFH-Entscheidung (Beschluss vom 25.04.2018, IX B 21/18) war ein Paukenschlag:
Das oberste Steuergericht Deutschlands zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen für Zeiträume ab dem Jahr 2015, stoppt also die weit überhöhten Nachzahlungszinsen der Finanzverwaltung – wenn auch vorerst nur in einem AdV-Verfahren. Die obersten Finanzrichter haben schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von §§ 233 a; 238 Abs. 1 S. 1 AO und dem dort gesetzlich festgelegten Zinssatz: Wenn Steuerzahler die vom Finanzamt gesetzte Frist zur Zahlung ihrer Steuern überschreiten, kassiert der Fiskus bei „Normalbürgern“ 0,5 %, bei Unternehmen sogar 1,0 % Zinsen – nicht im Jahr, sondern im Monat! In einem wirtschaftlichen Marktumfeld, in dem sich das tatsächliche Zinsniveau seit Jahren nahezu an der 0-Linie bewegt, wirken die gesetzlich festgesetzten Nachzahlungszinsen wie Wucher, ja wie eine auf die festgesetzte Steuer zusätzlich erhobene „Strafsteuer“.

Das Volumen der Nachzahlungszinsen ist gewaltig
Für den Staat geht es um viel: Allein bei der steuerlichen Betriebsprüfung hat der Fiskus in den vergangenen Jahren mehr als zwei Milliarden € eingenommen. Rechnet man ausgezahlte und eingeforderte Nachzahlungszinsen gegeneinander auf, hat der Fiskus nach Angaben des BMF seit 2010 bei Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz- und Vermögenssteuer immer noch 7,3 Milliarden € an Nachzahlungszinsen vereinnahmt.

Ist das das Ende der überhöhten Nachzahlungszinsen?
Schön wär’s. Allerdings ist sich der BFH selbst bei der Verfassungsmäßigkeit von Nachforderungszinsen nicht einig. Denn der III. BFH-Senat hat noch im November 2017 (BFH, Urteil vom 09.11.2017 III R 10/16) in einem anderen Fall für den Verzinsungszeitraum 2013 die Nachforderungszinsen als verfassungsgemäß beurteilt. Sollte nach dem jetzt ergangenen Beschluss der IX. BFH-Senat seine Ansicht auch im Hauptsacheverfahren bestätigen, müsste der Große Senat des BFH abschließend entscheiden. Hält auch der Große Senat des BFH die Nachzahlungszinsen für verfassungswidrig, müsste er diese Frage abschließend dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur Entscheidung vorlegen.

Was ist jetzt zu tun?
Betroffenen Steuerzahlern ist zu empfehlen, jetzt unbedingt Einspruch einzulegen, wenn ein Steuerbescheid mit Nachzahlungszinsen ergeht. Dabei empfiehlt sich, auf die relevanten Verfahren vor dem BFH (IX B 21/18) und die bereits erhobenen Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (1 BVR 2237/14 und 1 BVR 2422/17) hinzuweisen. Der Rechtsbehelf hat zwar keine aufschiebende Wirkung, schützt also zunächst nicht vor der Zahlung der Nachzahlungszinsen; allerdings erhält man sich nur auf diese Weise die Chance, gezahlte Nachzahlungszinsen erstattet zu bekommen, sollten sie sich als verfassungswidrig erweisen. Die ganze Angelegenheit hat aber auch eine Kehrseite: Erhalten Steuerzahler eine Rückzahlung vom Finanzamt, wird diese ab dem 15. Monat nach Ende des Veranlagungszeitraums ebenfalls mit 6 % pro Jahr verzinst (§§ 233 a; 238 AO). Eine bessere, mündelsichere Verzinsung ist derzeit am Kapitalmarkt kaum zu erzielen.

Weitere Informationen:

BFH v. 25.04.2018 – IX B 21/18 IX B 21/18

 

6 Gedanken zu “BFH: Schluss mit staatlichen Wucherzinsen!?

  1. Hier wird wohl was durcheinander geschmissen.

    Wer eine Frist zur Zahlung an das Finanzamt versäumt, zahlt Säumniszuschläge (§ 240 AO) und NICHT Zinsen. Diese betragen tatsächlich 1%, müssen aber sowohl von „Normalbürgern“ als auch Unternehmen gezahlt werden.

    Wer Nachzahlungszinsen aufgrund des Beschlusses nicht zahlen möchte, kann gleichzeitig mit dem Einspruch auch Aussetzung der Vollziehung beantragen (§ 361 AO).

  2. Sie haben recht: Nachzahlungszinsen sind von Säumniszuschlägen zu unterscheiden; insofern war meine Formulierung nicht ganz korrekt.

    Richtig ist auch der Hinweis, dass man sich gg Nachzahlungszinsen auch mit dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) wehren kann. Das musste aber nicht nochmal erwähnt werden, weil einAdV- Verfahren ja gerade Gegenstand des aktuellen BFH- Beschlusses war.

    Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

  3. Dennoch sollte man deutlich festhalten:

    Nur wenn ich den Wolf Hund nenne, wird es dadurch nicht besser.
    Wenn es auch „Säumniszuschlag“ heisst, ist es faktisch gesehen dennoch ein Zins.
    Und wer das Geld hat und die Muße sollte einmal gegen diesen „Wucherzins“ durch alle Instanzen gehen.

    Zitat: Marktzinsen als entscheidende Bezugsgröße für Wucherzinsen

    Es existiert allerdings ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 1988 (Az. III ZR 30/87), das konkretere Anhaltspunkte darüber liefert, wann Wucher vorliegt. Demnach kann von Wucherzinsen gesprochen werden, wenn der Zinssatz den üblichen Marktzins um 100 Prozent übersteigt – also mehr als doppelt so hoch ist. Wenn dieser also bei vier Prozent liegt, ist ein Kredit mit mehr als acht Prozent Zinsen sittenwidrig. Diese Regelung allein würde in Hochzinsphasen allerdings horrende Zinsdifferenzen erlauben. Als Beispiel: Läge der marktübliche Zins bei 16 Prozent, würde ein Zinssatz von 30 Prozent noch im Rahmen des Erlaubten liegen, da er den Marktzins nur um 87,5 Prozentpunkte übersteigt. Um solche wucherischen Zinsdifferenzen zu unterbinden, verweist der BGH in seinem Urteil auf die gängige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu sittenwidrigen Kreditverträgen. Danach ist der Tatbestand des Zinswuchers auch erfüllt, wenn ein Zinssatz mehr als zwölf Prozentpunkte über den marktüblichen Zinsen liegt. Bei einem Marktzins von 16 Prozent fällt ein Kredit mit einem Zinssatz von mehr als 28 Prozent also in die Kategorie Wucher.

    • Säumniszuschläge sind auch begründet durch den Zinsertrag auf die nicht gezahlten Abgabebeträge und haben mE.damit sehr wohl Zins-Charakter. Weiterhin kann ein sog.“Hälfte-Erlass“ erwirkt werden um die 1% SZ den 0,5% NZlgs-Zins §233aAO angepasst zu werden, d.h. Zinsen gleichgestellt zu werden ….
      Die Tatsache, dass 1% SZ bereits mit dem ersten Tag (!) der Zahlungsfristüberschreitung entstehen potenziert den %Satz erheblich. SZ sind somit effektiv sittenwidrig ! Weiterhin ist es so, dass in SEPA-Zeiten Überweisungen nicht schneller gehen und die Finanz-behörden u.a. Institutionen (Krankenkassen, Städte etc.) sog. „Echtzeit-Überweisungen“ nicht zulassen und regionale Bankverbindungen schließen. Weiterhin gehen mit fortschreitender „Digitalisierung“ die Verwaltungsprozesszeiten erheblich zurück und die Vollstreckung verwirkt ja neue > Verwaltungskosten. Wenn Säumniszuschläge=zinsen nicht Wucher sind was dann ?

  4. Sehr geehrter Herr Metternich

    danke für Ihren Kommentar.

    Ihre Einschätzung, dass auch „Säumniszuschläge“ faktisch wie „Zinsen“ wirken, ist – wirtschaftlich betrachtet – nachvollziehbar. Dennoch ist der „Säumniszuschlag“ rechtlich etwas anderes, nämlich ein Zuschlag auf Steuern, wenn die Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird (§ 240 AO). Säumniszuschlag ist eine steuerliche Nebenleistung (§ 3 IV AO). Andere als die Verzinsung hat also der Zuschlag wenigstens auch die Funktion einer „Verwaltungsstrafe“ und will die Mehrkostendecken, die durch Mahnung und Überwachung entstehen. Erhobene Zinsen wollen allein den wirtschaftlichen Vorteil abschöpfen, der jeweils entsteht. Der Kern ist doch deshalb, dass dieser Vorteil unter den seit gegebenen Zinsverhältnissen gar nicht in diesem vom Gesetz unterstellten Umfang erzielbar ist.

    Der von mir verwendete Begriff der „Wucherzinsen“ ist zugegebener Maßen etwas polemisch. Ein Anreiz für den Fiskus in Anlehnung an die von Ihnen zitierte Rechtsprechung bei der Zinshöhe bis in Wucherregionen sogar noch etwas „draufzupacken“, war damit nicht beabsichtigt.

    Mit freundlichen Grüßen

    Prof. Dr. jur. Ralf Jahn

  5. P.S. Habe vergessen zu erwähnen: andere Institutionen erheben neben 1% Wucher-Säumnis-Zuschlags-Zinsen noch Mahngebühren als „Verwaltungskostenbeitrag“ – nur die Finanzbehörden nicht; werden die Verwaltungskosten der Finanzbehörden nicht durch die erhobenen Steuern und Nachzahlungszinsen finanziert ? Wenn ja, was rechtfertigt dann eine „Verwaltungsstrafe“ wie von Ihnen bezeichnet ?
    P.P.S. Die Krankenkassen mit den im SGB begründeten Säumniszuschlägen haben noch den fiktiven/schwankenden Fälligkeitstag = „Drittletzter Bankarbeitstag“ (Computer brauchen auch Wochenendfreizeit und kirchliche Feiertagspausen) … ich weiß nicht ob es zu „Wucher“ noch eine Steigerung gibt. Und die wunderschönen Verwaltungsgebäude der Krankenkassen rechtfertigen ja auch einen Verwaltungskostenstrafe … WSZZ+MGeb

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