Wenn das Steuersystem verfassungswidrig durch den BFH und das BVerfG dem folgend ausgelegt wird, werden sich immer wieder Folgerechtsfragen ergeben. Auch so kann „Unruhe“ für Bürger und Berater und gleichzeitig Beschäftigungsgarantie für die Justiz hergestellt werden!
In meinem Beitrag zu den Entscheidungen, besser Nichtentscheidungen, des BVerfG hatte ich auf dieses neue Revisionsverfahren aufmerksam gemacht (X R 23/17). Auf den ersten Blick ein Einzelfall, jedenfalls für Steuerberater und Bürger, die nicht im Grenzbereich zu einem anderen Land leben. Für alle anderen dann von Bedeutung, wenn man bei einem deutschen Arbeitnehmer in das Ausland „geschickt wird“ und dort arbeitet. Aber im Grundsätzlichen auch darüber hinaus von Bedeutung.
Aufgrund der Doppelbesteuerungsabkommen kann der Arbeitslohn im Ausland zu besteuern sein. So im anhängigen Revisionsfall mit der Besteuerung in der Schweiz. Das deutsche Unternehmen hatte die Entsendung in die Schweiz bestimmt. Beim Arbeitnehmer wurden die deutschen Sozialversicherungsbeiträge abgezogen. Diese wollte nun der Steuerpflichtige in Deutschland im Rahmen seiner Steuererklärung abziehen, denn er bezog noch weitere Einkünfte (Kapitalvermögen).
Diesen Abzug versagte das FG Rheinland-Pfalz (5 K 1463/14). Die Sozialversicherungsbeiträge hängen mit den steuerfreien Arbeitseinkünften sachlich zusammen und sind somit nicht abzugsfähig. Das gilt selbstverständlich auch für die Beiträge zur Rentenversicherung, selbst wenn diese später aufgrund des Alterseinkünftegesetzes steuerpflichtig werden (hier 86 %).
Aufgrund der Revision (X R 23/17) hat der X. Senat die Chance, seine falsche Rechtsprechung zu dieser Abzugsproblematik zu korrigieren. Die Billigung der unsystematischen Zuordnung des Pflichtaufwandes zur Rentenversicherung als Sonderausgabe ist kein Ruhmesblatt der Finanzrechtsprechung (z.B. BFH v. 18.11.09 X R 34/07). Diese Aufwendungen sind zwingend dem objektiven Nettoprinzip zuzuordnen, denn die Aufwendungen dienen der Erzielung von Einkünften. Darüber darf sich weder der Gesetzgeber noch das BVerfG (13.07.16 2 BvR 288/10) billigend hinwegsetzen.
Da das BVerfG diesen Verfassungsbruch geduldet hat, indem es die Verfassungsbeschwerde nicht annahm, kann über dieses anhängige Revisionsverfahren die zwingend erforderliche Korrektur der Rechtsprechung erfolgen. Auch Richter dürfen Zivilcourage zeigen! Es ist zu hoffen, dass die Prozessbevollmächtigten diese Rechtsfrage grundsätzlich noch einmal dem BFH vortragen und Korrektur einfordern.
Es versteht sich von selbst, dass in diesen Fällen der Einspruch geboten ist.
Weitere Informationen:
- Verfahrensverlauf | BFH – X R 23/17 – anhängig seit 20.10.2017 (per 22.11.2017)
- Finanzgericht Rheinland-Pfalz v. 23.01.2017 – 5 K 1463/14
- BFH v. 18.11.2009 – X R 34/07
- Verfahrensverlauf | BVerfG – 2 BvR 288/10 – erledigt
Lesen Sie auch meinen Beitrag im NWB Experten-Blog:
Versagt das BVerfG in Steuerrechtsfragen?
Man wird dem BVerfG wohl nicht ernsthaft absprechen können in der Lage zu sein, auch Steuerrechtsnormen im notwendigen Rahmen nachzuvollziehen. Die Entscheidung zu den treaty override hat das eindrücklich belegt. Insofern erscheint es mir überflüssig zu sein, einen Steuerrechtler nach Karlsruhe zu beordern – schließlich geht es hier um die Auslegung von Verfassungsrecht, nicht von Steuerrecht.
Seit wann ist Sonderausgaben oder nicht Verfassungsrecht?
Meiner Ansicht nach ist auch das Nettoprinzip ein Steuerrechtsbegriff!
Lediglich die Auslegung berührt die Verfassung immer wieder, weil die
Bürokratie die Fakten in der Beweislast immer umkehrt.
Schade, dass ich jetzt erst Zeit finden konnte, die Kommentare (auch zu meinem Beitrag „Versagt das BVerfG in Steuerrechtsfragen“) aus meiner Sicht zu kommentieren.
Das mir Wichtige vorweg: Das Verfassungsrecht steht über dem Steuerrecht. Das Steuerrecht hat das Verfassungsgericht zu beachten.
Insoweit ist ein Steuerrechtler vonnöten, denn wer das spezielle Steuerrecht nicht versteht, kann es auch nicht verfassungsrechtlich richtig würdigen. Das zeigen gerade sehr anschaulich die Entscheidungen zu dem Komplex der Altersbesteuerung und der Sonderausgaben. Es wimmelt von Fehlbeurteilungen der Folgerichtigkeit (Hinweis auf Art. 3 GG). Alle Entscheidungen der Senate sind deshalb immer „abhängig“ von dem wissenschaftlichen Mitarbeiter und damit von einer „einseitigen Betrachtung“. Man schließt sich schnell dieser Meinung an. Insoweit macht eine Schwalbe noch keinen Sommer (Hinweis auf die treaty overrite Entscheidung des BVerfG).