Beiträge an Solidarvereine können abziehbar sein – wechselvolle Geschichte mit positivem Ende

Solidargemeinschaften bzw. Solidarvereine sind eine Alternative zur gesetzlichen und privaten Krankenversicherung. Für viele herkömmlich gesetzlich oder privat Krankenversicherte mögen sie als etwas seltsame Institutionen erscheinen, dabei gibt es sie bereits seit rund 100 Jahren. In steuerlicher Hinsicht streiten sich die Mitglieder der Solidarvereine bereits sehr lange mit der Finanzverwaltung um die Anerkennung ihrer Beiträge als Sonderausgaben. Zumeist ist der Abzug mit der Begründung verwehrt worden, dass mit den Beiträgen kein Rechtsanspruch auf Leistungen erworben wird. Auch die Finanzgerichte sind dieser Haltung gefolgt.

Doch der BFH hat sich die Vertragswerke offenbar genauer angeschaut als es die Finanzgerichte getan haben und so können viele Betroffene ihre Beiträge an die Solidarvereine nunmehr doch als Sonderausgaben geltend machen. Hier eine – sicherlich nicht vollständige – Historie zur steuerlichen Einordnung.

Im Jahre 2020 hat der BFH entschieden, dass Krankenversicherungsbeiträge an einen Solidarverein nur dann als Sonderausgaben absetzbar sind, wenn der Solidarverein als „Einrichtung“ anzusehen ist, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall gewährt (§ 10 Abs. 2 Nr. 2a Satz 2 EStG) und wenn auf die Leistungen des Vereins ein Rechtsanspruch besteht (BFH-Urteil vom 12.8.2020, X R 12/19).

Das Hessische Finanzgericht hatte die Klage des Mitglieds eines Solidarvereins – es ging offenbar um die Samarita – abgewiesen. Es führte aus, im Streitjahr 2016 habe seitens der Klägerin schon kein Rechtsanspruch auf Leistungen bestanden, so dass die anderen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 EStG nicht mehr zu prüfen seien (Hessisches FG, Urteil vom 10.3.2022, 1 K 1029/18).

Mit dem Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege, das am 9.6.2021 in Kraft getreten ist, wurden Solidargemeinschaften gesetzlich legitimiert und Mitgliedschaften in bisher bestehenden Solidargemeinschaften als „anderweitige Absicherung im Krankheitsfall“ angesehen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt waren.

Im Jahre 2023 hat der BFH das oben erwähnte Urteil des Hessischen FG (Streitjahr 2016) aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Vielleicht könnte doch ein Rechtsanspruch auf Leistungen bestehen, der zum Abzug der Beiträge führen würde (BFH-Urteil vom 23.8.2023, X R 15/22).

Mit Gerichtsbescheid vom 1.3.2024 (Az. 11 K 820/19 E) hat das FG Münster entschieden, dass Beiträge an einen Solidarverein zur Erlangung von Krankenversicherungsschutz als Sonderausgaben abzugsfähig sind, wenn sich aus der Auslegung der Satzung und den weiteren Gesamtumständen ein Rechtsanspruch der Mitglieder auf Leistungen ergibt. Im zugrunde liegenden Fall wurde der Klage nunmehr weitgehend stattgegeben.

Das Verfahren befand sich bereits im zweiten Rechtszug. Zunächst hatte das FG den Abzug verweigert, musste sich dann aber vom BFH – ebenso wie das Hessische FG – eines Besseren belehren lassen (FG Münster, Urteil vom 9.2.2022, 11 K 820/19 E;  BFH, Gerichtsbescheid vom 23.8. 2023, X R 21/22).

Die Begründung des FG Münster (Quelle: Newsletter Mai 2024): Die für die Vorsorge im Krankheitsfall geleisteten Beiträge seien zur Erlangung eines sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus erforderlich, da der Ersatz der Krankheitskosten nach der Satzung das Niveau der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung erreichen solle.

Obwohl die Satzung einen ausdrücklichen Leistungsanspruch nicht vorsehe, bestehe ein rechtsverbindlicher Anspruch auf Leistungen im Krankheitsfall. Dies ergebe sich aus der Auslegung der Satzung und der weiteren Begleitumstände. Die rechtliche Selbsteinschätzung des Vereins, die einen Rechtsanspruch ausschließe, diene lediglich dem Zweck, eine aufsichtsrechtliche Einordnung als Krankenversicherung zu verhindern. Vielmehr ergebe sich aus der Satzung, dass in Fällen medizinischer Notwendigkeit ein Anspruch auf Leistungen bestehe, der demjenigen der gesetzlichen Krankenversicherung entspreche und auch ein entsprechendes Leistungsniveau garantiere. Dies werde auch durch die von den Klägern übersandten Protokolle der Mitgliederversammlungen gestützt, aus denen sich über einen Zeitraum von acht Jahren keinerlei Streitigkeiten über Leistungsansprüche ergeben hätten. Auch im „Argumentarium“ fänden sich Anhaltspunkte dafür, dass die Mitglieder im Krankheitsfall verlässlich und vollumfänglich abgesichert seien. Da der Verein eine solche Absicherung im Krankheitsfall gewähre, sei unschädlich, dass er keine Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland habe.

Demgegenüber seien die der Pflegevorsorge dienenden Beiträge (Beiträge zur Pflegeabsicherung) nicht als Sonderausgaben abzugsfähig, da nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nur Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung begünstigt seien.

Das FG Münster hatte zwar die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Diese wurde von den Beteiligten jedoch nicht eingelegt.

Denkanstoß:

Das Thema „Sonderausgabenabzug für Beiträge an Solidarvereine“ scheint zu einem guten Ende zu kommen. Ich kann allerdings nicht beurteilen, ob die positiven Urteile nur für die jeweils streitigen Beiträge an die Solidarvereine gelten oder ob sie nun Breitenwirkung entfalten. Doch wie dem auch sei: Die Finanzämter und gegebenenfalls die Finanzgerichte müssen in anderen Fällen die Vertragswerke im Lichte der BFH-Rechtsprechung eingehend prüfen und dürfen es sich nicht allzu leicht machen, indem sie pauschal auf einen fehlenden Rechtanspruch bezüglich der Leistungen verweisen.

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