Im Rahmen des NWB Experten-Blogs habe ich schon mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Thema „außergewöhnliche Belastungen“ so scharf geworden sind, dass entsprechende Kosten kaum noch abziehbar sind. Ob rein immaterielle (“psychische”) Schäden, Prozesskosten, Schäden, die nur mangels Versicherung zu tragen sind oder Kosten im Zusammenhang mit behördlichen Auflagen – immer wird ein Grund gefunden, warum nun gerade diese „Kostenart“ nicht außergewöhnlich im Sinne des § 33 EStG ist. Selbst eine der letzten „Bastionen“ des § 33 EStG, nämlich die Kosten für einen behindertengerechten Umbau, droht zu fallen.
Nach dem Willen des BFH gilt: Einem behinderten Menschen müssen seine vier Wände reichen. Möchte er einen behindertengerechten Garten haben, sind entsprechende Umbaukosten nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung geschuldet, sondern in erster Linie Folge eines frei gewählten Freizeitverhaltens (BFH-Urteil vom 26.10.2022, VI R 25/20).
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Eheleute, die ein Einfamilienhaus mit Garten bewohnen. Die Klägerin leidet an einem Post-Polio-Syndrom, weswegen für sie ein Grad der Behinderung von 70 mit den Merkzeichen G und aG festgestellt wurde. Auf der Rückseite des Einfamilienhauses befindet sich eine Terrasse, die mit einem Rollstuhl erreicht werden kann. Auf der Vorderseite befanden sich ursprünglich Beete, auf denen die Klägerin Beerensträucher und Kräuter angebaut hatte und die lediglich durch einen schmalen Fußweg zu erreichen waren. Diesen Weg ließen die Kläger in eine gepflasterte Fläche umbauen und legten dort Hochbeete an. Die Kosten in Höhe von ca. 7.000 Euro machten sie als außergewöhnliche Belastungen geltend, weil die Maßnahme medizinisch notwendig gewesen sei und auch der Garten zum existenznotwendigen Wohnbedarf gehöre.
Das Finanzamt versagte den Abzug unter Hinweis darauf, dass Aufwendungen für den Umbau eines Gartens nicht berücksichtigt werden könnten, weil dies den durchschnittlichen Wohnkomfort übersteige. Im Klageverfahren beantragten die Kläger hilfsweise, den in der Rechnung enthaltenen Lohnanteil nach § 35a EStG zu berücksichtigen. Das FG hat die Klage in der Hauptsache abgewiesen. Dem Hilfsantrag, für 20 % der Lohnkosten die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 3 EStG zu gewähren, hat das FG immerhin stattgegeben. Der BFH hat das Ergebnis bestätigt.
Die Begründung lautet:
Als außergewöhnliche Belastungen könnten Aufwendungen nur anerkannt werden, wenn sie dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen seien. Daher würden etwa Krankheitskosten und ebenfalls Aufwendungen zur Befriedigung des existenznotwendigen Wohnbedarfs als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Zwar sei auch die Umbaumaßnahme eine Folge der Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin gewesen. Gleichwohl seien die Aufwendungen nicht zwangsläufig entstanden. Denn sie seien nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung geschuldet, sondern in erster Linie Folge eines frei gewählten Freizeitverhaltens.
Denkanstoß:
Die Richter der Vorinstanz hatten sich sogar mit dem Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderung befasst. Doch hiernach ließen sich keine konkreten Vorgaben zur Auslegung des § 33 EStG entnehmen. Zudem werde dem in Artikel 9 des Übereinkommens genannten Ziel, Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt zu ermöglichen, bereits dadurch Rechnung getragen, dass Aufwendungen zur Befriedigungen des existentiellen Wohnbedarfs abzugsfähig sind.
Alles in allem ist der Umgang des Fiskus mit Behinderten ein Trauerspiel. Zwar wurden die Behinderten-Pauschbeträge vor nicht allzu langer Zeit verdoppelt, doch zuvor sind sie seit 1975 (!) unverändert geblieben – als hätte es 35 Jahre lang keine Kostensteigerung gegeben. Und eine erneute Erhöhung der Pauschbeträge aufgrund der derzeitigen Inflation ist ohnehin nicht in Sicht.
Um noch einmal auf außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG ganz allgemein zurück zu kommen: Die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen wird immer öfter verneint. Vielfach wird den Bürgern entgegengehalten, sie hätten ja eine “übliche und leicht zugängliche” Versicherung abschließen können. Selbst die Opfer der Flutkatastrophe des Jahres 2021 können ihre Kosten für die Beseitigung der Schäden am Eigenheim nur als außergewöhnliche Belastung absetzen, weil die Elementarschadenversicherung aufgrund einer Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung keine allgemein zugängliche und übliche Versicherungsmöglichkeit darstellt. Ich bin mir nicht sicher, ob die Richter des BFH dies genauso beurteilen würden.