Alle Jahre wieder… welche Erklärungspflichten 2023 bei der Einkommensteuer zu beachten sind

Einkommensteuerpflichtige haben unter Beachtung der gesetzlichen Erklärungsfristen für den jeweiligen Veranlagungszeitraum eine Steuererklärung abzugeben. Welche Besonderheiten sind hierbei in 2023 zu beachten?

Hintergrund

Nach § 149 Abs. 2 S.1 AO haben Steuerpflichtige, soweit nichts anderes bestimmt ist, spätestens sieben Monate nach Ablauf des Veranlagungszeitraumes (Kalenderjahres), also bis spätestens 31.7. des jeweiligen Folgejahres die Einkommensteuererklärung für das vorangegangene Jahr abzugeben. In Fällen, in denen Steuerpflichtige durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertreten sind, verlängert sich diese Abgabefrist bis zum Monatsletzten des Monats Februar des übernächsten, auf den Veranlagungszeitraum folgenden Jahres, in den Fällen des § 149 Abs. 2 S.2 AO (Land- und Forstwirte mit abweichendem Wirtschaftsjahr bis 31.7. des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres (§ 149 Abs.3 AO).

Fristverlängerung durch das 4.Corona-Steuerhilfegesetz

Mit Rücksicht auf die besonderen (Arbeits-)Belastungen infolge der Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber zahlreiche steuerliche Entlastungsmaßnahmen erlassen. Mit dem 4.Corona-Steuerhilfegesetz (BGBl 2022 I S.911) hat der Gesetzgeber auch die Erklärungsfristen für die Abgabe der Einkommensteuererklärung (vorübergehend) verlängert (Art.97 §36 Abs.3 ff. EGAO). Danach gilt im laufenden Jahr Folgendes: Weiterlesen

Update: Energiepreispauschale an 75 Prozent berechtigter Studenten und Fachschüler ausgezahlt

Bis Anfang August 2023 haben rund 75,4 Prozent aller Antragsberechtigten (3.554.504) die steuerfreie Energiepreispauschale von 200 Euro ausgezahlt bekommen. Das ist eine Erfolgsstory!

Hintergrund

Seit dem 1.1.2023 haben rund 3,55 Millionen junge Menschen in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf Auszahlung einer einmaligen Energiepreispauschale in Höhe von 200 Euro, die nicht versteuert werden muss. Grundlage ist das von der Bundesregierung im September 2022 auf den Weg gebrachte, im Dezember vom Bundestag beschlossene EPPSG. Auf der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wurde der Auszahlungszeitpunkt wie folgt terminiert: „Die Auszahlung soll zu Beginn dieses Jahres beginnen, also noch in diesem Winter.“ In der Folge hat sich aber das Verfahren verzögert, weil die digitale Antragsplattform erst verspätet zur Verfügung stand. Deswegen kam die Auszahlung anfangs nur schleppend voran.

Bundesregierung beantwortet Kleine Anfrage

Nach Angaben der Bundesregierung haben rund 2,68 Millionen Studierende und Fachschülerinnen und Fachschüler den einmaligen 200-Euro-Zuschuss erhalten, der bei steigenden Lebenshaltungskosten unterstützen soll. Das seien knapp 75 Prozent der Berechtigten, schreibt die Bundesregierung in einer Antwort (BT-Drs. 20/7971) auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion (BT-Drs. 20/7793). Wie die Bundesregierung weiter mitgeteilt hat, wurde mittels einer einmonatigen Informationskampagne mit Kosten von rund 89.000 Euro versucht, Berechtigte erneut auf die Möglichkeit der Antragstellung hinzuweisen. Weiterlesen

Corona-Wirtschaftshilfen: Neuigkeiten vom Schlussabrechnungsverfahren

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat abermals die Schlussabrechnungsfrist verlängert. Prüfende Dritte haben nun über den 31.8.2023 hinaus bis zum 31.10.2023 Zeit, die Schlussabrechnung für ihre Mandanten einzureichen, auf Antrag sogar bis 31.3.2024.

Hintergrund

Seit Sommer 2020 haben Bund und Länder im Anschluss an die Corona-Soforthilfen mit verschiedenen Zuschussprogrammen versucht, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie bei Unternehmen und Selbständigen abzumildern – ich habe mehrfach im Blog berichtet. Die vorläufigen Bewilligungen wurden vielfach auf der Basis von prognostizierten Umsatzrückgängen und Fixkosten erteilt, um eine schnelle Auszahlung der Zuschüsse zu ermöglichen. Die Förderbedingungen der Corona-Wirtschaftshilfen sehen vor, dass die endgültige Höhe der Billigkeitsleistung anhand der tatsächlich realisierten Geschäftsentwicklung zu ermitteln ist.

Die Schlussabrechnung ist somit notwendig, um einen Abgleich zwischen den ursprünglich beantragen Zuschüssen und denen, die den Antragstellenden tatsächlich zustehen, vorzunehmen. Das kann je nach gewählten Programmen zu einer Bestätigung der erhaltenen Mittel oder zu einer Nach- oder Rückzahlung führen. Die Schlussabrechnung der Programme wird in einem vollständig digitalisierten Verfahren durch prüfende Dritte (Rechtsanwälte, Angehörige der steuerberatenden Berufe) bearbeitet. Ursprünglich sollte die Frist zur Einreichung der Schlussabrechnungen am 30.6.2023 enden, wurde dann aber am 22.6.2023 bis 31.8.2023 verlängert. Am 11.8.2023 wurde die Einreichungsfrist jetzt abermals bis 31.10.2023 verlängert.

Welche Förderprogramme sind betroffen?

Betroffen sind die Schlussabrechnungen für die Pakete 1 (Überbrückungshilfen I bis III; November-/Dezemberhilfe) und 2 (Überbrückungshilfe III Plus/IV); diese können nun bis zum 31.10.2023 eingereicht werden. Nicht betroffen sind die Endabrechnungen der Neustarthilfen (die separaten Corona-Hilfen für Soloselbstständige), da diese Einreichungsverfahren bereits seit längerem abgeschlossen sind. Angesichts der angespannten Arbeitsbelastungen und des hohen Fachkräftebedarfs bei den Angehörigen der „prüfenden Dritten“ soll die abermalige Fristverlängerung für eine Entlastung der überlasteten Berufsgruppen sorgen. Weiterlesen

Ermäßigter Umsatzsteuersatz in der Gastronomie: Ende oder dauerhafte Entfristung?

Noch bis 31.12.2023 beträgt die Umsatzsteuer für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen statt 19 Prozent nur 7 Prozent – ausgenommen sind Getränke. Die Rückkehr zum vollen Steuersatz könnte für viele Gastronomiebetriebe zur existentiellen Bedrohung werden.

Hintergrund

Für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen mit Ausnahme der Abgabe von Getränken wird seit dem 1.7.2020 bis gegenwärtig Ende 2023 der ermäßigte Umsatzsteuersatz in Höhe von 7 Prozent erhoben (§ 12 Abs.2 Nr.15 UStG). Dies war ein Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Folgen und zur Stärkung der Binnennachfrage, der nach der ersten Befristung bis 30.6.2021 (Corona-Steuerhilfegesetz v. 19.6.2020, BGBl 2020 I S. 1385) mehrfach verlängert wurde, zuletzt bis Ende 2023.

Dauerhafte Senkung des Umsatzsteuersatzes politisch umstritten

Mit Rücksicht auf unverändert hohe Energie- und Einkaufspreise und die bedrohte Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Raum hat die CDU/CSU-Fraktion im März 2023 eine Initiative für eine dauerhafte Senkung des Umsatzsteuersatzes ergriffen (BT-Drs.20/5810), die aber im BT-Finanzausschuss abgelehnt wurde – jedenfalls vorläufig mit Hinweis auf die angespannte Haushaltssituation des Bundes. Ob sich hieran noch etwas ändert und noch finanzielle Spielräume für eine dauerhafte Entfristung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes über den 31.12.2023 hinaus bestehen, müssen die abschließenden Beratungen des Bundeshaushaltes 2024 zeigen, die ab September auf der Agenda des Bundestages stehen.

Rückkehr zum erhöhten Steuersatz bedroht viele Gastronomiebetriebe

Sollte der Bund bei seinem „Nein“ zu einer dauerhaften Entfristung oder jedenfalls weiteren Verlängerung der derzeitigen Umsatzsteuersenkung in der Gastronomie bleiben, für die der Bund bislang rund 10 Mrd. Euro aufgewendet hat, könnte das fatale Folgen haben. Weiterlesen

Corona-Impfschaden: Müssen Impfstoffhersteller haften?

Bei Corona-Impfschäden gehen Geschädigte bislang meist leer aus. Ein Verfahren vor dem OLG Bamberg könnte jetzt aber eine Wende bedeuten und zu einer Prozessflut führen. Worum geht es?

Hintergrund

Der Begriff „Impfschaden“ steht für gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung („Impfkomplikation”), § 2 Nr.11 IfSG. Im Streitfall hatte sich die Klägerin im März 2021 mit dem damals einzig verfügbaren Covid-19-Impfstoff von AstraZeneca impfen lassen. Im Anschluss hatte sie eine sogenannte Darmvenenthrombose erlitten und fiel ins Koma.  Letztlich musste ihr ein wesentlicher Teil des Darms entfernt werden.

Wegen dieser massiven Gesundheitsschäden klagt AstraZeneca derzeit vor dem OLG Bamberg (4 U 15/23 e); vor dem LG Hof war sie noch unterlegen. Sie fordert insgesamt bis zu 600.000 Euro als Schmerzensgeld sowie als Schadensersatz für künftige Beeinträchtigungen. Sie macht geltend: Die schweren Gesundheitsschäden lassen sich auf die Impfung mit dem Corona-Vakzin von AstraZeneca zurückführen und in dem Wissen über eine mögliche Darmvenenthrombose hätte sie sich nicht impfen lassen.

OLG Bamberg holt Sachverständigengutachten ein

Das OLG Bamberg hat jetzt im August einen Hinweisbeschluss erlassen und will ein Sachverständigengutachten zur Frage möglicher Aufklärungspflichten im „Beipackzettel“ einholen. Weiterlesen

Fällt die Altersgrenze für Notare?

Am 7.8.2023 hat der für Notarangelegenheiten zuständige BGH-Senat über die Frage verhandelt, ob die Höchstaltersgrenze von 70 Jahren für Notare gegen höherrangiges Recht verstößt. Der Verfahrensausgang (BGH, NotZ(Brfg) 4/22) hat weit über Einzelfall hinaus reichende Bedeutung für die Frage möglicher Altersdiskriminierung bestimmter Berufsgruppen.

Worum geht es im Streitfall?

Der Kläger ist Anwaltsnotar und wird im Laufe des Jahres 2023 das 70. Lebensjahr vollenden. Er macht geltend, die Höchst-Altersgrenze von 70 Jahren für Notare verstoße gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, das sich aus Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta) sowie Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der RL 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (EU RL 2000/78) ergebende Verbot der Diskriminierung wegen Alters ergibt. Die Altersgrenze sei angesichts eines erheblichen Nachwuchsmangels nicht mehr im Sinn von Art. 6 Abs. 1 EU RL 2000/78 objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt. Mit seiner Feststellungsklage, dass sein Notaramt nicht mit Ablauf des Monats der Vollendung des 70.Lebensjahres ende, ist der Kläger vor dem OLG Köln (v. 10.2.2022 – Not 5/21) unterlegen; vor dem BGH verfolgt er sein Ziel weiter. Weiterlesen

Entschädigung für coronabedingte Einnahmeausfälle? Ein (bislang) aussichtsloser Kampf gegen Windmühlen

In einem weiteren Urteil hat der BGH abgelehnt, dass der Staat für Einnahmeausfälle (hier: eines Berufsmusikers) haftet, die durch befristet und abgestuft angeordnete Veranstaltungsverbote und -beschränkungen zur Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus in dem Zeitraum von März bis Juli 2020 („erster Lockdown“) verursacht wurden (BGH, Urteil v. 3.8.2023 – III ZR 54/22/s. NWB Online-Nachricht).

Worum ging es im Streitfall?

Der Kläger begehrte vom beklagten Land Baden-Württemberg Entschädigung für Einnahmeausfälle, die ihm in dem Zeitraum von März bis Juli 2020 entstanden waren, weil er und seine Musikgruppe auf Grund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19-Krankheit nicht auf Veranstaltungen auftreten konnte.

Das beklagte Land erließ ab dem 17.3.2020 auf der Grundlage von § 32 i. V. mit § 28 Abs. 1 IfSG sukzessive mehrere Verordnungen zur Bekämpfung des Coronavirus. Das zunächst angeordnete generelle Verbot von Versammlungen und Veranstaltungen wurde in der Folgezeit gelockert. Ab 1.6.2020 waren unter Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen und Hygienemaßnahmen wieder Kulturveranstaltungen jeglicher Art unter 100 Teilnehmern gestattet, ab 1.7.2020 waren bei Veranstaltungen mit festen Sitzplätzen sowie einem vorab festgelegten Programm bis zu 250 Teilnehmer zulässig.  LG und OLG haben die auf Zahlung gerichtete Klage abgewiesen.

Wie hat der BGH entschieden?

Auch vor dem BGH hatte der Kläger keinen Erfolg: Seinen zuletzt aus enteignungsgleichem Eingriff geltend gemachten Entschädigungsanspruch hat der BGH (v. 3.8.2023 – III ZR 554/22) in letzter Instanz verneint: Weiterlesen

Energiepreispauschale für Rentner – aber längst nicht für alle!

Der Bund hat mit dem RentEPPG ab 1.12.2022 eine steuerpflichtige Energiepreispauschale (EEP) für Rentnerinnen und Rentner in Höhe von 300,- € beschlossen. Das BMAS erklärt auf seiner Internetseite unverändert, dass Rentnerinnen und Rentner berufsständischer Versorgungswerke keinen Anspruch auf Auszahlung der Energiepreispauschale haben. Ist das gerecht?

Hintergrund

Ich habe mehrfach im Blog berichtet: im Rahmen der (energiepreisbezogenen) Entlastungspakete hat der Bundestag mehrere Energiepreispauschalen beschlossen; mit dem RentEPPG (BGBl 2022 I S. 1985) auch eine einmalige steuerfreie EEP für Rentner:innen ab 1.12.2022. Wer zuvor oder daneben aus Beschäftigung von seinem Arbeitgeber eine EEP erhalten hat, kommt zweimal in den Genuss der Zahlung von 300,- €.

Viele Rentner profitieren – Versorgungsempfänger aber nicht!

Im Dezember 2022 und Januar 2023 haben insgesamt rund 20,2 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland automatisch die Energiepreispauschale erhalten. Rentner, die ihre Energiepreispauschale noch nicht erhalten haben, mussten bis zum 30.6.2023 einen Antrag auf nachträgliche Auszahlung bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See stellen. Bis zum 21.6.2023 sind laut der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See 44.250 Anträge auf nachträgliche Auszahlung der Energiepreispauschale eingegangen. Von den bisher 21.428 abschließend bearbeiteten Anträgen seien 11.445 genehmigt worden. Das hat die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag Ende Juni 2023 mitgeteilt.

Seit längerem ist bekannt, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine Zahlung an Rentenempfänger Berufsständischer Versorgungswerke ablehnt. Weiterlesen

Geplante neue Mindeststeuer – Geldregen für den Fiskus?

Am 10.7.2023 hat das BMF einen Referentenentwurf für ein Mindestbesteuerungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz veröffentlicht. Was bedeutet die Einführung einer Mindeststeuer?

Hintergrund

Bereits am 20.3.2023 hatte das BMF einen Diskussionsentwurf für ein Mindestbesteuerungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz veröffentlicht, der jetzt zu einem offiziellen Referentenentwurf des BMF wurde. Hintergrund ist die Einführung einer globalen Mindeststeuer, auf die sich die Staatengemeinschaft vor geraumer Zeit verständigt hat, um eine angemessene Besteuerung weltweit operierender Konzerne wie Google, Apple oder Microsoft sicherzustellen, die bislang ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer „verschieben“ – ich habe im Blog darüber berichtet.

Worum geht es in dem geplanten Mindeststeuergesetz? Weiterlesen

Bundestag beschließt Ausweitung des Verbandsklagerechts auf Unterlassungs- und Abhilfeklagen

Am 7.7.2023 hat der Bundestag abschließend das Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) beschlossen. Was bedeutet das für Unternehmen und Verbraucher?

Hintergrund

Die „Richtlinie (EU) 2020 / 1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG“ sah eigentlich eine Umsetzung bis zum 25.12.2022 und das Inkrafttreten bis zum 25.06.2023 vor. Die EU-Kommission hatte deshalb bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Die Richtlinie zielt darauf ab, EU-weit den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher zu stärken, weil durch verbraucherrechtswidrige Geschäftspraktiken von Unternehmen regelmäßig viele Verbraucher geschädigt würden. Die Richtlinie verpflichtet die EU-Staaten, zwei Arten von Verbandsklagen vorzusehen. Verbände müssen danach das Recht haben, im eigenen Namen Unterlassungsklagen, durch die Verstöße gegen Verbraucherrecht beendet werden können, und Abhilfeklagen, durch die Verbraucherrechte durchgesetzt werden können, zu erheben.

Erweiterung der Klagemöglichkeiten zum Schutz von Verbraucherschutzrechten

Abhilfeklagen gab es im deutschen Recht bislang nicht. Die Regelungen für Abhilfeklagen von Verbänden sollen in einem eigenen Stammgesetz, dem VRUG, gebündelt werden. Darin sollen auch die bestehenden Regelungen der Zivilprozessordnung über die Musterfeststellungsklage integriert werden. Durch Änderungen im Unterlassungsklagengesetz und im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sowie in einigen weiteren Gesetzen sollen die schon bestehenden Regelungen über Unterlassungsklagen durch Verbände an die Vorgaben der Richtlinie angepasst werden. Zusätzlich sollen ergänzende Regelungen zu Unterlassungsklagen und Abhilfeklagen in anderen Gesetzen geschaffen werden. Mit Verabschiedung des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes (VRUG) am 07.07.2023 hat der deutsche Gesetzgeber eine neue Klageart in Gestalt einer kollektiven Abhilfeklage geschaffen.

Was bedeuten die neuen Klagemöglichkeiten konkret für Verbraucher?

Das neue Klageinstrument sieht vor, dass Ansprüche von Verbrauchern gegen Unternehmen gebündelt geltend gemacht und durchgesetzt werden können, um so die Rechtsposition der Verbraucher zu stärken und die Justiz in Massenverfahren zu entlasten.

Klageberechtigt sind qualifizierte Verbraucherverbände, die in die Liste nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) eingetragen sind. Die noch im Referentenentwurf vorgesehene Mindesteintragungsdauer von vier Jahren hat im weiteren Beratungsverfahren nicht Stand gehalten, sodass auch kurzfristig gegründete Verbraucherverbände klageberechtigt sein werden. Klagende Verbände müssen für die Zulässigkeit nur nachvollziehbar darlegen, dass von der Abhilfeklage Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sein können. Klagen mehrere Verbände gemeinschaftlich, genügt es bereits, wenn sie die mögliche Betroffenheit von insgesamt 50 Verbrauchern darlegen. Darüber hinaus ist der späteste Zeitpunkt für den Anschluss der Betroffenen an das Verfahren sehr spät gewählt: Er soll bis zu drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung möglich sein. Ebenfalls kritisiert hatten die Wirtschaftsverbände die geplante Einführung eines Streitwertdeckels in Höhe von 410.000 Euro. Diese Grenze wurde nun sogar auf 300.000 Euro abgesenkt.

Erste Bewertung

Im Gesetzgebungsverfahren haben sich insgesamt 14 Wirtschaftsverbänden intensiv dafür eingesetzt, dass entgegen der während des Verfahrens zunehmenden Tendenz eines sehr einseitig die Verbraucher bevorzugenden Entwurfs ein Kompromiss gelungen ist, der die Interessen der Unternehmen nicht ausblendet. Das ist vernünftig, damit nicht „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“ wird.

Positiv ist aus Unternehmenssicht vor allem zu bewerten, dass die Verjährungshemmung nicht für alle potentiell Betroffenen, sondern nur für die Verbraucher eintritt, die sich auch tatsächlich zur Verbandsklage angemeldet haben. Darüber hinaus müssen die Verbände – sollten sie sich eines Prozessfinanzierers bedienen – die Finanzierungsvereinbarung offenlegen und dürfen dem Finanzierer nicht mehr als 10 % des Erstrittenen versprechen. Diese Regelungen zur Drittfinanzierung sollen dafür sorgen, dass Sammelklagen nicht zum Investitionsobjekt profitorientierter Unbeteiligter werden – gut so!

Der deutsche Gesetzgeber hat die Verbandsklagenrichtlinie mit einiger Verspätung in deutsches Recht umgesetzt: Die Richtlinie sah eine Umsetzung bis zum 25.12.2022 und das Inkrafttreten bis zum 25.06.2023 vor. Die EU-Kommission hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland (und weitere verspätete Mitgliedstaaten) eingeleitet; ob die Kommission dieses Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland jetzt noch weiterverfolgt, muss abgewartet werden.

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