Außergewöhnliche Belastungen: Gibt es überhaupt „sittliche Gründe“ für eine Kostenübernahme?

„Krankheitsbedingte Aufwendungen für die vermögende Tante des Klägers nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar“ – so lautet die Überschrift eines Urteils des FG München, das ich in der NWB-Datenbank gefunden habe (FG München, Urteil vom 25.8.2022, 11 K 812/22). Zunächst wollte ich mich mit dem Urteil gar nicht näher befassen, denn die Überschrift deutet darauf hin, dass der Fall absolut klar war und man sich eigentlich fragt, wie der Kläger überhaupt auf die seltsame Idee kommen konnte, dass seine Aufwendungen abziehbar sein könnten.

Aber Sie ahnen es: Ganz so einfach war die Sache nicht.

Zunächst der Sachverhalt:

Der Kläger machte Unterstützungsleistungen an seine Tante geltend, die insbesondere aus Zuzahlungen für ihre Unterbringung in einem Pflegeheim entstanden sind. Ihm seien die Aufwendungen aus sittlichen Gründen entstanden, auch wenn die Tante über ein gewisses Vermögen verfügt habe. Die Tante habe nämlich unter Hintanstellung jeglicher eigener Belange beide Eltern des Klägers über 15 Jahre versorgt und gepflegt, als diese jeweils über Jahre hinweg gesundheitlich nicht mehr zu Verrichtungen des täglichen Lebens in der Lage gewesen seien. Der Neffe habe sich daher zu den Unterstützungsleistungen verpflichtet gefühlt. Es wäre undenkbar gewesen, die Unterstützungsleistungen zu unterlassen, nachdem sich die Tante bis an den Rand der Selbstaufgabe über Jahre um seine Eltern gekümmert hatte. Dennoch erkannte das Finanzamt die Unterstützungsleistungen nicht als außergewöhnliche Belastungen an. Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos.

Begründung:

Die Übernahme von Krankheitskosten bzw. der Kosten für die Unterbringung im Pflegeheim muss zwangsläufig sein. Im Streitfall liegen keine hinreichenden Gründe vor, die zu einer Zwangsläufigkeit führen. Die Tante des Klägers war zwar krankheitsbedingt in einem Pflegeheim untergebracht. Der Kläger war gegenüber seiner Tante jedoch weder gesetzlich noch vertraglich unterhaltsverpflichtet. Auch sittliche Gründe lagen nicht vor. Zwar ist es verständlich, dass sich der Kläger entschieden hatte, die Unterbringungskosten seiner Tante zu bezahlen. Die Gesellschaft erwarte aber nicht unausweichlich und unabdingbar, dass ein Neffe die Heimkosten seiner vermögenden, aber pflegebedürftigen Tante übernimmt.

Denkanstoß:

Ich vermute, dass viele Leser nach Lektüre des Sachverhalts eine sittliche Verpflichtung des Klägers zur Kostenübernahme wohl – anders als das FG – bejaht hätten. Man kann es auch anders formulieren: Wenn nicht hier, wann dann sollen überhaupt noch moralische Gründe für eine Kostenübernahme sprechen? Nun gut: Sie werden einwenden, dass das Vermögen der Tante offenbar so hoch war, dass die sittlichen Gründen doch ausscheiden. Aber zu bedenken ist, dass wir uns nicht im § 33a EStG, sondern im § 33 EStG bewegen. In § 33a EStG wird explizit darauf hingewiesen, dass die unterstützte Person kein oder nur ein geringes Vermögen besitzen darf. In § 33 EStG findet sich eine solche Einschränkung nicht. Und so hätte die Frage des Vermögens bei der Beurteilung der sittlichen Gründe auch außen vor bleiben können.

Mein Fazit:

Es haben durchaus Gründe für den Kostenabzug gesprochen, so dass die Klage keinesfalls abwegig war. Wenn man aber dem FG in seiner Argumentation folgt, wird den Finanzämtern immer „irgendein“ Grund einfallen, um die sittliche Verpflichtung anzuzweifeln.

Übrigens, nur am Rande: Im BFH-Urteil vom 11.2.2010 (VI R 61/08, BStBl 2010 II S. 621) heißt es: „Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kommt die das eigene Vermögen des Unterhaltsempfängers betreffende Bestimmung des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG im Rahmen des § 33 EStG nicht ergänzend zur Anwendung. § 33a EStG stellt gegenüber der allgemeinen Regelung des § 33 EStG eine Sondervorschrift dar. Das bedeutet auch, dass die in § 33a EStG enthaltenen Sonderbestimmungen nicht auf die Generalklausel des § 33 EStG ausgedehnt werden dürfen.“ Allerdings heißt es im gleichen Urteil auch: „Ein volljähriges Kind ist grundsätzlich verpflichtet, vorrangig seinen Vermögensstamm zu verwerten, bevor es seine Eltern auf Unterhalt in Anspruch nimmt.“

Das FG München hat dem letzten Satz mehr Gewicht beigemessen als dem erstgenannten.

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