Ausbildungen zum Rettungs- und Notfallsanitäter bilden kindergeldrechtlich eine Einheit

Erstausbildung oder Zweitausbildung? Diese Frage beschäftigt Eltern, Familienkassen, Steuerberater und Gerichte seit Jahren. Während für den Abzug von Werbungskosten die Annahme einer Zweitausbildung von Vorteil ist, ist es beim Kindergeld genau andersherum: Hier wird die Annahme einer so genannten einheitlichen Berufsausbildung angestrebt, wenn das Kind nach dem ersten Ausbildungsschritt einen weiteren absolviert.

Der Vorteil einer einheitlichen Berufsausbildung (=Erstausbildung) liegt darin begründet, dass das Kindergeld ohne weitere Voraussetzungen gezahlt. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind dagegen nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Lediglich eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sind unschädlich.

Nun haben sich die Finanzgerichte und der BFH in den letzten Jahren ziemlich restriktiv gezeigt, wenn es um die Anerkennung einer einheitlichen Berufsausbildung ging. So hat der BFH zum Beispiel entschieden, dass die Weiterbildung zum Facharzt kein Teil einer einheitlichen erstmaligen Berufsausbildung ist. Bei einer im Anschluss an das Medizinstudium absolvierten Facharztweiterbildung handelt es sich lediglich um eine Zweitausbildung. Und dann wiederum wäre es schädlich, wenn das Kind einer Vollzeittätigkeit nachgeht (BFH-Urteil vom 22.9.2022, III R 40/21).

Immerhin lässt nun ein aktuelles Urteil des FG Münster aufhorchen: Die Ausbildung zum Rettungssanitäter und eine Ausbildung zum Notfallsanitäter bilden eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung. Und besonders wichtig: Kindergeld ist auch für die Übergangszeit zu gewähren, in der das Kind vor der Aufnahme der Ausbildung zum Notfallsanitäter bereits einer Vollzeittätigkeit als Rettungssanitäter nachgeht (FG Münster, Urteil vom 17.10.2022, 7 K 591/22 Kg).

Der Sachverhalt in Kurzform:

Der Sohn absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Nach bestandener Prüfung nahm er eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung in diesem Beruf auf. Bereits kurz vor der Prüfung bewarb er sich bei mehreren Ausbildungsbetrieben im gesamten Bundesgebiet für eine Ausbildung zum Notfallsanitäter. Die Bewerbungen blieben bisher ohne Erfolg. Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung daher nach Beendigung der Ausbildung zum Rettungssanitäter auf.

Im Einspruchsverfahren machte die Mutter geltend, dass ihr Sohn eine Ausbildung zum Notfallsanitäter anstrebe. Die Familienkasse wies den Einspruch aber als unbegründet zurück. Zwar liege ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem ersten und dem – geplanten – zweiten Ausbildungsabschnitt vor. Ein Kindergeldanspruch scheitere aber daran, dass die Erwerbstätigkeit im Vordergrund stehe. Insbesondere nutze der Sohn bereits die durch die Ausbildung zum Rettungssanitäter erlangte Qualifikation. Zudem arbeite er in Vollzeit, wohingegen die weitergehenden Ausbildungsmaßnahmen noch nicht durchgeführt werden. Doch die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich.

Die Begründung des FG, ebenfalls in aller Kürze:

Die Ausbildung zum Rettungssanitäter und die von dem Sohn angestrebte Ausbildung zum Notfallsanitäter stellen eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung dar. Ein enger sachlicher Zusammenhang ergibt sich daraus, dass beide Berufsgruppen im Bereich der notfallmedizinischen Versorgung und des Transports von Patienten tätig werden. Ein enger zeitlicher Zusammenhang ergibt sich daraus, dass sich der Sohn der Klägerin bereits während der Ausbildung zum Rettungssanitäter und im unmittelbaren Anschluss an diese Ausbildung ernsthaft um die weitergehende Ausbildung zum Notfallsanitäter bemüht hat.

Auch führt die Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter zu keiner Zäsur. Die Erwerbstätigkeit dient lediglich der Überbrückung der Wartezeit bis zum nächsten Ausbildungsabschnitt. Entgegen der Auffassung der Familienkasse kann dem Kindergeldanspruch nicht entgegengehalten werden, dass die Berufstätigkeit des Sohnes im Vordergrund steht. Es trifft zwar zu, dass der Sohn einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung in seinem Ausbildungsberuf (Rettungssanitäter) nachgeht. Dies ist hier aber unschädlich.

Anders wäre die Rechtslage, wenn die Erwerbstätigkeit später gegenüber der angestrebten Ausbildungsmaßnahme im Vordergrund stünde. Vorliegend ergibt die Prognose aber, dass nicht die Erwerbstätigkeit des Sohnes im Vordergrund stehen wird, sondern die angestrebte Ausbildung. Folglich besteht damit auch in der Übergangszeit nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ein Kindergeldanspruch.

Denkanstoß:

Interessierte sollten das Urteil genau studieren, denn es enthält viele Aspekte, die auch in ähnlich gelagerten Fällen den Kindergeldanspruch begründen können. Die Revision wurde übrigens nicht zugelassen, da die Entscheidung auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergangen sei.

Noch zwei Hinweise: Bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz sollten Bewerbungsschreiben stets aufbewahrt werden, um für kindergeldrechtliche Streitigkeiten Beweisvorsorge zu betreiben. Zudem sollten die Familienkasse bzw. die Bundesagentur für Arbeit immer frühzeitig informiert werden, wenn ein Ausbildungs- oder Arbeitsplatz gesucht wird. Auch dies kann für die Kindergeldgewährung enorm wichtig sein.

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