Das Urteil des BGH vom 14. November 2018 (VIII ZR 109/18) wird in der Presse gerade als „Stärkung des Mieterschutzes“ kolportiert, dabei ist das aus meiner Sicht gar kein (rein) mietrechtliches Problem, sondern eine Frage der Auslegung von AGB in Kaufverträgen.
Eine Gemeinde hatte „Siedlungshäuser“ vermietet und den Mietern anscheinend lebenslange Wohnrechte zugesagt. Bei den Häusern handelt es sich um Zweifamilienhäuser, bei denen mietrechtlich die Besonderheit besteht, dass der Kündigungsschutz für den Vermieter erleichtert ist, wenn er selbst darin wohnt (§ 573a BGB). Die Gemeinde verkauft diese Häuser an einzelne Erwerber. In den Kaufverträgen ist jeweils eine Klausel enthalten, in der sich die Erwerber (verkürzt gesagt) verpflichten, den bisherigen Mietern nicht wegen Eigenbedarfs zu kündigen. Einer der Erwerber zieht selbst in eine der Wohnungen in seinem Haus und kündigt unter Berufung auf § 573a BGB.
Er hat keinen Erfolg: Die Klausel in den Kaufverträgen war ein sogenannter echter Vertrag zugunsten Dritter. Nach § 328 Abs. 1 BGB können sich Parteien eines Vertrages darauf einigen, einem Dritten (der ansonsten „eigentlich“ keine Partei ist) Rechte einzuräumen. Daher war der Mieter unmittelbar durch die Vereinbarung zwischen verkaufender Gemeinde und dem Erwerber geschützt.
Der Erwerber probierte aber mit einem anderen Ansatz, die Klausel zu kippen: Über die Regelungen zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Dieses „Recht zum Schutz vor Kleingedruckten“ findet auch im Mietrecht Anwendung. Über diese Schiene sind z.B. praktisch alle Schönheitsreparaturklauseln in Mietverträgen vom BGH gekippt worden. Der Erwerber versuchte, den Spieß umzudrehen und meinte, die – von der Gemeinde vorgegebenen – Klauseln seien allgemeine Geschäftsbedingungen und ein Vertrag zugunsten Dritter sei nicht als AGB vereinbar. Eine AGB-Klausel ist (cum grano salis) immer dann unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.
Der BGH sieht in dieser Klausel aber keine unangemessene Benachteiligung des Erwerbers. Es handele sich vielmehr um eine inhaltlich ausgewogene Regelung für den Verkauf eines im kommunalen Eigentum stehenden, von langjährigen Mietern bewohnten Siedlungshauses.
Anmerkung:
Das Urteil überzeugt mich in seinen Ausführungen zur Frage der inhaltlichen Unausgewogenheit (§307 Abs. 1 Satz 1 BGB) nicht: Der BGH führt aus, das Berufungsgericht habe zutreffend angenommen, dass die im notariellen Kaufvertrag enthaltenen Regelungen zum lebenslangen Wohnrecht der Beklagten und zum Kündigungsausschluss weder mit den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren seien (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) noch wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so eingeschränkt würden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB, Rz. 37). Dem Berufungsgericht sei auch darin beizupflichten, dass die kaufvertraglichen Bestimmungen, mit denen das Recht der Erwerber zur ordentlichen Kündigung für die Lebensdauer der aktuellen Mieter eingeschränkt, ihnen das Recht zur außerordentlichen Kündigung hingegen belassen wird, eine inhaltlich ausgewogene Regelung für den Verkauf eines im kommunalen Eigentum stehenden, von langjährigen Mietern bewohnten Siedlungshauses darstellen (Rz. 39).
Hier besteht aber ein Dreiecksverhältnis: Die Klausel – als Vertrag zugunsten Dritter – ist im Vertrag zwischen Gemeinde und Erwerber enthalten. Beim Verhältnis zwischen Erwerber und Mieter handelt es sich um das sog. Vollzugsverhältnis, bei dem es sich nicht um ein vertragliches Verhältnis handelt. Daher ist Klausel auch nur im Kaufvertrag, also im Verhältnis zwischen Gemeinde zu Erwerber zu bewerten. Es kann sich also bei einer Norm, von der abgewichen wird, nur um eine Norm handeln, die die kaufvertraglichen Regeln abändert. Der BGH zieht aber eine mietrechtliche Regelung heran und prüft anhand derer, ob die Regelung im Kaufvertrag ausgewogen ist.
Es stellt sich für mich auch eine andere Frage: Wenn der Gemeinde so am Mieterschutz liegt, können alle Schutzrechte für die Mieter vor dem Verkauf mit den Mietern vereinbart werden. Der Erwerber tritt dann unmittelbar in diesen Vertrag ein und es bedarf gar nicht der recht komplizierten Konstruktion über den Vertrag zugunsten Dritter. Und wenn man es ganz sicher will: Wohnrechte könnten auch dinglich gesichert werden bzw. den Mietern kann ein Nießbrauch eingeräumt werden.
Weitere Informationen:
BGH v. 14.11.2018 – VIII ZR 109/18