Die Rückforderung von – ungerechtfertigt – ausgezahltem Kindergeld trifft Eltern und Kinder zumeist hart. Insbesondere, wenn der Rückforderungszeitraum lang ist und Sozialleistungen – wegen der vermeintlichen Zahlung von Kindergeld – ihrerseits gekürzt worden sind. Denn dies führt dazu, dass letztlich weder Kindergeld noch Sozialleistungen gewährt werden. Beruht die Nachforderung auf unrichtigen Angaben, ist diese “Härte” womöglich angebracht. Geht es hingegen “nur” um eine mangelnde Mitwirkungspflicht, kann ausnahmsweise ein Erlass der Kindergeldrückforderung aus Billigkeitsgründen in Betracht kommen – zumindest nach Ansicht der Betroffenen.
Im Jahre 2019 hatte das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht in diesem Sinne entschieden, dass zumindest dann ein teilweiser Erlass der Nachzahlung in Betracht kommt, wenn die Familienkasse ein Mitverschulden an der Höhe der Rückforderungsbetrages trifft (Urteil vom 25.3.2019, 3 K 9/18).
Jüngst hat der BFH dieses positive Urteil jedoch aufgehoben und die Revision der Familienkasse als begründet angesehen. Ein Erlass aus Billigkeitsgründen scheide regelmäßig aus, wenn der Kindergeldberechtigte seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist und kein überwiegendes (!) behördliches Mitverschulden vorliegt. Allein die fehlende Kommunikation zwischen der Sozialbehörde und der Familienkasse sowie die unterlassenen halbjährlich vorgesehenen internen Überprüfungen durch die Familienkasse verpflichten Letztere nicht zu einem Billigkeitserlass der Rückforderung des Kindergeldes (BFH-Urteil vom 27.5.2020, III R 45/19).
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Kind erhielt Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter mit der Folge, dass das – zunächst festgesetzte – Kindergeld komplett angerechnet wurde. Das Kind war „abzweigungsberechtigt“, das heißt, die Leistungen gingen nicht an die Eltern, sondern unmittelbar an das Kind. Dieses war zwar bei der Bundesagentur für Arbeit (Jobcenter) ausbildungsplatzsuchend gemeldet, hatte es aber unterlassen, sich zu bewerben. Die Familienkasse ließ zwei Prüfhinweise unbearbeitet und so dauerte es rund ein Jahr, bis das Kindergeld zurückgefordert wurde. Das Kind stellte einen Antrag auf Erlass des Rückforderungsbetrages von 2.830 EUR. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Die Finanzrichter hingegen ließen einen Erlass in Höhe von 1.890 EUR zu. Der hohe Nachzahlungsbetrag sei nur entstanden, weil die Bearbeitungshinweise nicht beachtet wurden. Zudem könne der Kläger im Nachhinein auch keine SGB II-Leistungen mehr beantragen. Doch die Richter des BFH sehen die Sache anders und lehnen einen Erlass komplett ab.
Ihre Begründung: Allein der Umstand, dass das Kindergeld im Streitfall auf die von dem Kläger bezogenen Sozialleistungen angerechnet wurde, verpflichte die Familienkasse nicht zu einem Billigkeitserlass. Die Anrechnung könne zwar nicht rückabgewickelt werden, weil es allein auf den tatsächlichen Zufluss des Kindergeldes beim Hilfeempfänger ankommt und die nachträgliche Gewährung von Sozialleistungen ausgeschlossen ist. Es fehle zudem eine gesetzliche Regelung der systemübergreifenden Rückabwicklung von zu Unrecht gewährtem Kindergeld, das auf Sozialleistungen angerechnet wurde. Dies sei jedoch kein Grund, in einschlägigen Fällen einen Billigkeitserlass als zwingend anzusehen. Es oblag allein dem Kläger als Empfänger des Kindergeldes, der Familienkasse die Informationen zu übermitteln, die für die Kindergeldfestsetzung von Bedeutung waren.
Unter besonderen Umständen könne zwar ein Verhalten der Behörde einen sachlichen Billigkeitsgrund darstellen. Dies setze aber regelmäßig voraus, dass die Rückforderung nicht auf Umstände zurückzuführen ist, die der Rückzahlende zu vertreten hat. Im Urteilsfall habe ein überwiegendes behördliches Mitverschulden nicht vorgelegen. Auch die mangelnde Beachtung der Bearbeitungshinweise durch die Familienkasse führe nicht dazu, dass die Mitwirkungspflichten des Kindergeldberechtigten suspendiert werden und die nicht zeitgerechte Überprüfung durch die Familienkasse der maßgebliche Grund für die Überzahlung ist. Die besonderen Überprüfungsintervalle dienten nicht dazu, den Kindergeldberechtigten von den Konsequenzen einer Mitwirkungspflichtverletzung freizustellen.
Hinweise:
Im konkreten Fall mag die Ablehnung des Erlasses gerechtfertigt gewesen sein. Bei Sachverhalten der hier dargestellten Art kann die schriftliche Darstellung nicht immer wiederzugeben, wie groß die Pflichtverletzung des Kindergeldberechtigten tatsächlich war. Dennoch sollte sich der BFH bei seiner Wortwahl sehr bewusst sein, was er damit für viele andere Fälle auslöst. Wer sieht, wie Ablehnungsschreiben der Familienkasse aufgebaut sind, nämlich oftmals als eine Aneinanderreihung von wahllosen Textbausteinen, die die Betroffenen letztlich nur einschüchtern sollen, und wer sieht, welch immenser Schaden durch eine Rückforderung von Kindergeld bei Personen ausgelöst wird, die auf das Geld dringend angewiesen sind, hätte sich gewünscht, dass der BFH bei der Frage des „Mitverschuldens“ der Familienkasse mehr Fingerspitzengefühl gezeigt hätte.
Bemerkenswert ist im Übrigen, dass der BFH nicht einfach überprüft hat, ob die Vorinstanz bei ihrer Entscheidung gegen Denkmuster verstoßen hat. Das hat er aber nicht getan, sondern die Erlassvoraussetzungen in Gänze geprüft. Damit gibt die Entscheidung übrigens – um ihr etwas Positives abzugewinnen – dem Verfahrensrechtler einige wichtige Hinweise, wie er in anderen Fällen den BFH dazu bewegen kann, in eine Überprüfung zugunsten des Klägers einzusteigen.
Weitere Informationen:
- Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil v. 25.03.2019 – 3 K 9/18
- BFH, Urteil v. 27.05.2020 – III R 45/19 -nv-