Wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen verfolge ich aufmerksam die NWB Nachrichten und den NWB Reform-Radar sowie die Verlautbarungen des Steuerberaterverbandes und anderer Institutionen. Wenn ich allein die Nachrichten der vergangenen Tage über die geplanten Steueränderungen betrachte, erschaudere ich. Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz, Gesetz zur Abwehr von Steuervermeidung, Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz, Fondsstandortgesetz, Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts, Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes – die Aufzählung ist nicht vollständig.
Hinzu kommt die – weitestgehend – zum 1. Juli 2021 in Kraft tretende Zweite Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets. Die gesetzlichen Änderungen laut Regierungsentwurf samt Begründung umfassen rund 80 Seiten; das zugehörige BMF-Schreiben hat eine Länge von 35 Seiten.
Des Weiteren sind die Änderungen von drei Corona-Steuerhilfegesetzen, des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften („Jahressteuergesetz 2019“), des Dritten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie, des Gesetzes zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht, des „Jahressteuergesetzes 2020“, des Behinderten-Pauschbetragsgesetzes und des Zweiten Familienentlastungsgesetzes zu beachten. Ganz zu schweigen von dem „Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019“.
Auch diese Aufzählung ist nicht vollständig, denn wir haben zum Beispiel noch das Forschungszulagengesetz sowie weitere Gesetzesänderungen, etwa im Bereich der Sozialversicherung, des Wohnungseigentumsrechts und der Erneuerbaren Energien, die ins Steuerrecht hineinstrahlen. Wohlgemerkt sind die genannten Gesetzesänderungen innerhalb von etwa eineinhalb bis zwei Jahren beschlossen worden oder werden in Kürze beschlossen.
Auf die stündlich wechselnden FAQs zu den Überbrückungshilfen will ich erst gar nicht eingehen. Das wäre ein Thema für sich.
Ich habe die Seiten der Bundestags- und Bundesratsdrucksachen nicht gezählt, aber ausgedruckt dürften sie die Tausender-Grenze überschritten haben. Ärgerlich ist, dass die Gesetze fast immer auch Änderungen transportieren, auf die der Titel nicht schließen lässt. Wenn es „Gesetz zur Stärkung des Fondsstandorts Deutschland“ heißt, geht man vielleicht noch davon aus, dass die Fondsbesteuerung neu geregelt wird, nicht aber zwingend wichtige lohnsteuerliche Vorschriften. Übrigens, nur am Rande: Selbst wenn Sie die in dem Gesetz geplanten lohnsteuerlichen Vergünstigungen freudig zur Kenntnis nehmen, sollten Sie beachten, dass diese (teilweise) nicht ins Sozialversicherungsrecht übernommen werden. Da will der Gesetzgeber einen kleinen Stolperstein für uns Berater einbauen. Wo kämen wir denn auch hin, wenn das Lohnsteuer- und das Sozialversicherungsrecht hier gleichlaufen würden? Einfach kann jeder; nur große Geister beherrschen das Chaos.
Um es auf den Punkt zu bringen: Der steuerliche Gesetzgeber hat jegliches Augenmaß verloren und entfernt sich von der Praxis mit Lichtgeschwindigkeit. Dabei sind nicht nur die Steuerpflichtigen und ihre Berater, sondern auch die Mitarbeiter der Finanzverwaltung die Leidtragenden. Sprechen Sie einmal mit Leuten, die in den Rechenzentren arbeiten oder die die jeweiligen Steuervordrucke für das kommende Jahr erarbeiten müssen. Und ich nehme an, dass es nach der Bundestagswahl mit steuerlichen Änderungen erst so richtig losgeht. Langweilig wird es jedenfalls nicht.
Ach, fast hätte ich es vergessen: Bitte beachten Sie auch das Vierte Gesetz zur Änderung des Seefischereigesetzes mit der Ausweitung des zeitlichen Rahmens für kurzfristige Beschäftigung. Wohlgemerkt geht es in dem Gesetz nicht nur um die Seefischerei. Wäre ja noch schöner.
Lesen Sie hierzu auch die Fortsetzung, die morgen (11.05.2021) um 7 Uhr erscheint:
https://www.nwb-experten-blog.de/aufreger-des-monats-mai-ich-lege-nach/
Hier will der Gesetzgeber wohl noch schnell ein paar Dinge umsetzten bevor die Gesetzesvorhaben in die Diskontinuität laufen. Vier Jahre waren wohl dann doch zu kurz.