Aufreger des Monats Juni: Das Ende des föderalen Systems im Steuerrecht

Ich bin ein großer Anhänger unseres parlamentarischen und föderalen Systems. Zwar bin ich nicht mit allem einverstanden, was in Bundestag und Bundesrat verabschiedet wird, aber das gehört halt zur Demokratie dazu. Derzeit habe ich indes den Eindruck, dass sowohl das parlamentarische also auch das föderale System bei der Verabschiedung von steuerlichen Gesetzen aus den Fugen geraten sind. Die handelnden Politiker, allen voran Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, betonen zwar, dass wir derzeit quasi vielmehr eine Sternstunde der Demokratie erleben, doch ich bin anderer Meinung. Speziell beziehe ich mich auf das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz mit dem „Highlight“ der Absenkung der Umsatzsteuersätze. Es soll am 29.6. von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden, dürfte am 30.6. verkündet werden und am 1.7.2020 um 0:00 Uhr in Kraft treten. Derzeit wird jedoch von allen Seiten so getan, als wenn das Gesetz längst beschlossen wäre. Das ist es aber nicht. Der Bundesrat muss erst noch zustimmen! Die zeitliche Abfolge erlaubt jedoch gar kein anderes Votum als eine Zustimmung. Damit wird der Bundesrat zur Zustimmung verdammt. Das ist eine „eine Strapaze für den Föderalismus“. Dabei gibt es genug Kritik an dem Gesetz, die der Bundesrat – genügend Zeit vorausgesetzt – mit Sicherheit angebracht hätte. Das kann – und darf – er aber nicht.

Leidtragende sind Tausende von Händlern und Dienstleistern, die nun in der Nacht vom 30.6. auf den 1.7.2020 schauen müssen, wo sie die vielen fleißigen Heinzelmännchen herbekommen, die ihre Preise, Kassensysteme, Steuerschlüssel usw. umstellen. Dabei wissen derzeit nicht einmal die klügsten Köpfe des BMF, welche Auswirkungen sich im Einzelnen ergeben. Das vorläufige BMF-Schreiben, das zahlreiche Zweifelsfragen regeln soll, ist am 23.6. geändert worden, und zwar in enorm wichtigen Punkten wie beispielsweise der Erteilung von Anzahlungsrechnungen. Wenn sich nun aber nicht einmal mehr die Experten des BMF sicher sind, wie Anzahlungsrechnungen zu erteilen und die Anzahlungen abzurechnen bzw. zu versteuern sind, so darf doch die berechtigte Frage gestellt werden, wie ein Unternehmer reagieren soll, wenn ein Gesetz am 29.6. verabschiedet wird, er aber sage und schreibe nur einen Tag (!) Zeit hat, um all die Umstellungen zu erledigen.

Wer nun sagt, ein Unternehmer hätte doch mehrere Wochen Zeit gehabt, dem halte ich entgegen, dass ein steuerliches Gesetz üblicherweise erst mit Zustimmung des Bundesrats als verabschiedet gilt und umzusetzen ist. Anderenfalls hätten wir das Ende des föderalen Systems im Steuerrecht. Doch ich befürchte, in Corona-Zeiten ist alles anders.

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