Jahrelang hieß es, Arbeitnehmer sollen die betriebliche Altersvorsorge (bAV) nutzen, da ihre Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung zunehmend gekürzt worden sind. Nachdem die Politik erst einmal Millionen Rentner von den vermeintlichen Vorteilen der bAV überzeugt hatte, kam sie auf den „genialen“ Trick, nun könne man für Kapitalleistungen aus der betrieblichen Altersversorgung, insbesondere für Direktversicherungen, Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung verlangen. Gegen die Einbeziehung von Kapitalleistungen in die Beitragspflicht sind viele betroffene Rentner und Arbeitnehmer Sturm gelaufen und tun dies noch heute. Sie fühlen sich vom Staat verschaukelt.
Aber es hilft nichts
Das BSG hat in zahlreichen Urteilen immer wieder entschieden, dass gegen die Einbeziehung von Kapitalleistungen aus Direktversicherungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Das Bundesverfassungsgericht hat Verfassungsbeschwerden zu dem Thema – wenn ich mich recht erinnere – nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 7.4.2008, 1 BvR 1924/07; BVerfG-Beschluss vom 28.2.2008, 1 BvR 2137/06; BSG-Urteile vom 26.2.2018, B 12 KR 13/18 R und B 12 KR 17/18 R).
Und wie sieht es steuerlich aus?
Wer sich eine arbeitgeberfinanzierte Direktversicherung in einer Summe auszahlen lässt, muss die Kapitalabfindung als sonstige Einkünfte in voller Höhe versteuern, falls die Beiträge bei Einzahlung steuerfrei waren (§ 22 Nr. 5 EStG). Es kommt nicht einmal die Fünftel-Regelung zum Zuge – zumindest gilt dies, wenn bereits in der ursprünglichen Versorgungsregelung ein Kapitalwahlrecht enthalten ist. Jüngst hat das FG Münster entschieden, dass die volle Besteuerung der Einmalzahlung aus einer Direktversicherung verfassungsgemäß ist (Gerichtsbescheid vom 29.10.2020, 15 K 1271/16 E).
Der Sachverhalt:
Die Klägerin erhielt im Streitjahr 2012 eine Einmalzahlung aus einer Direktversicherung in Höhe von ca. 23.000 Euro. Das Finanzamt unterwarf diesen Betrag der Einkommensteuer, was zu einer Steuerfestsetzung in Höhe von ca. 5.500 Euro führte. Hiergegen wandte sich die Klägerin unter anderem mit dem Argument, dass ihr nach Abzug der Steuern und Krankenversicherungsbeiträge lediglich ca. 12.700 Euro von der Versicherungsleistung verblieben. Das sei verfassungswidrig. Die Richter haben die Klage jedoch abgewiesen.
Die Begründung des FG:
Die Einmalzahlung sei unstreitig gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG als Leistung aus einer Direktversicherung zu versteuern. Eine Beschränkung der Steuerpflicht greife nicht ein, da die Beiträge in vollem Umfang steuerfrei gestellt worden seien. Ob dies materiell-rechtlich zutreffend gewesen sei, sei ohne Belang. Die volle Versteuerung sei auch verfassungsgemäß. Eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zur laufenden Auszahlung einer Rente liege nicht vor, da sich dies aus dem verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Grundsatz der Abschnittsbesteuerung ergebe. Die Eigentumsgarantie sei nicht verletzt. Sofern ihr das Versicherungsunternehmen in der Ansparphase eine höhere Steuererstattung prognostiziert habe, sei für eine etwaige steuerliche Falschberatung nicht der Staat zuständig.
Aber besteht denn in Sachen „vermeintliche Falschberatung“ Aussicht auf Schadensersatz?
Ein ganz neues Kapital hatte in diesem Zusammenhang zwar das LAG Hamm aufgeschlagen (Urteil vom 6.12.2017, 4 Sa 852/17). Danach haftet ein Arbeitgeber für die Sozialabgaben seines Arbeitgebers, wenn er ihn – im Jahre 2003 – nicht über die bevorstehende Beitragspflicht von einmaligen Kapitalleistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung ab dem 1.1.2004 aufgeklärt hat. Das heißt: Er hätte für ihn die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung übernehmen müssen. Doch das BAG hat der Revision des Arbeitgebers stattgegeben (BAG-Urteil vom 18.2.2020, 3 AZR 206/18). Also gibt es auch hier kaum Unterstützung.
Ich „freue“ mich schon auf die kommende Bundestagswahl. Ich bin mir äußerst sicher, dass die Politik vor der Wahl wieder einmal verspricht, sich um das Anliegen der Rentner mit der Mehrfachbelastung zu kümmern. Und genauso sicher bin ich mir, dass das Versprechen nach der Wahl gebrochen wird.
Weitere Informationen:
FG Münster, Gerichtsbescheid vom 29.10.2020, 15 K 1271/16 E (www.justiz.nrw.de)
LAG Hamm, Urteil v. 06.12.2017 – 4 Sa 852/17
BAG, Urteil v. 18.02.2020 – 3 AZR 206/18