Aufreger des Monats April: Kein Vertrauensschutz beim Finanzamt – auch nicht nach 40 Jahren?

Der Grundsatz von Treu und Glauben ist im BGB verankert und soll – zumindest theoretisch – auch im Steuerrecht Anwendung finden können (BFH  9.8.1989, I R 181/85). In der Praxis kollidiert er aber regelmäßig mit der Abschnittsbesteuerung. Das heißt: Der Grundsatz von Treu und Glauben hilft zumeist weder den Steuerpflichtigen noch der Finanzverwaltung. Wenn es „hart auf hart“ kommt, gehen das Prinzip der Abschnittsbesteuerung sowie die Gesetzesauslegung einer eventuell unzutreffenden Behandlung eines Sachverhalts in den Vorjahren vor.

So traf es beispielsweise einen Steuerbürger vor dem FG Düsseldorf. In dem Urteil vom 11.10.2019 (13 K 172/17 E) heißt es: „Selbst wenn Fahrtenbücher in den Vorjahren vom Beklagten anerkannt worden sein sollten, hat der Beklagte für die Streitjahre die Möglichkeit, aufgrund des einkommensteuerlichen Abschnittsprinzips eine neue Beurteilung vorzunehmen. Nach der BFH-Rechtsprechung hat die Finanzbehörde die Grundlagen der Besteuerung bei jeder Veranlagung ohne Rücksicht auf die Behandlung desselben Sachverhalts in Vorjahren selbstständig festzustellen und die Rechtslage neu zu beurteilen; sie ist an die Sach- oder Rechtsbehandlung in früheren Veranlagungszeiträumen nicht gebunden.“ In die gleiche Richtung gehen: FG München, Urteil vom 19.10.2017, 7 K 3429/16; FG Münster, Urteil vom 20.1.2016, 11 K 2168/14 E,G.

Und beispielsweise hat der BFH im Jahre 2004 entschieden: Der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung gebiete es, dass das Finanzamt in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut prüft und rechtlich würdigt (BFH-Beschluss vom 2.8.2004, IX B 41/04). Der Spruch „Das haben wir schon immer so gemacht“ hilft also nicht weiter.

Bald muss der BFH unter dem Az VIII R 34/24 wieder einmal zur Frage des Vertrauensschutzes entscheiden. Vorausgegangen ist ein sicherlich ungewöhnlicher Fall beim FG Düsseldorf (Urteil vom 10.11.2023 – 3 K 1608/21 E), das ich zum „Aufreger des Monats April“ gekürt habe.

Das Urteil des FG Düsseldorf

Eine Frau erhielt seit rund 40 Jahren Witwengeldzahlungen auf Grundlage eines Knappschaftszahnarztvertrages ihres verstorbenen Ehemannes. Und 40 Jahre lang hat das Finanzamt diese Zahlungen als Renteneinkünfte erfasst, die teilweise steuerfrei blieben. Erst im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2018 kam das Finanzamt zu der geänderten Auffassung, dass die Zahlungen nachträgliche Einnahmen der Klägerin aus freiberuflicher Tätigkeit ihres verstorbenen Ehemannes gemäß § 24 Nr. 2 EStG i.V.m. § 18 EStG darstellen würden. Und diese seien voll zu versteuern. Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos, und zwar sowohl materiell-rechtlich als auch verfahrensrechtlich.

Der wirtschaftliche Zusammenhang der Witwengeldzahlungen zur früheren Zahnarzttätigkeit des verstorbenen Ehemannes begründe die Zuordnung der Einnahmen zu den Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit. Vor allem aber: Die offenbar jahrzehntelange steuerliche Berücksichtigung der Ruhegehalts- und Witwengeldzahlungen als sonstige Einkünfte durch die Finanzverwaltung stehe der nunmehrigen – materiell-rechtlich zutreffenden – Erfassung als nachträgliche Einnahmen i.S. von § 24 EStG nicht entgegen. Insbesondere könne sich die Klägerin aufgrund des Prinzips der Abschnittsbesteuerung nicht auf einen Vertrauensschutztatbestand berufen.

Denkanstoß:

Wie erwähnt liegt nun die Revision vor. Die Rechtsfrage lautet: Darf der Fortbestand einer bisherigen langjährigen (hier: 40 Jahre) steuerlichen Behandlung allein unter Hinweis auf das Prinzip der Abschnittsbesteuerung abgelehnt werden? Ich würde sagen, hier sollte ausnahmsweise einmal der Vertrauensschutz Vorrang vor der Abschnittsbesteuerung haben.

Übrigens, nur am Rande: Im BMF-Schreiben vom 26.7.2017 (BStBl 2017 I S.1001) hieß es damals in Tz. 15a: „Leistungsempfängern werden unter Berufung auf das BFH-Urteil vom 22. August 2013 (V R 37/10), BStBl 2014 II S. 128 beantragte Umsatzsteuer-Erstattungen – unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben und des unionsrechtlichen Neutralitätsgebots – nur gewährt, soweit sie die nachträgliche Zahlung der fraglichen Umsatzsteuer an den leistenden Unternehmer nachweisen oder mit dem Erstattungsanspruch gegen nach § 27 Abs. 19 UStG vom leistenden Unternehmer an die Finanzbehörde abgetretene (zivilrechtliche) Forderungen aufgerechnet werden kann. Im Übrigen wird die Umsatzsteuererstattung abgelehnt.“

Wenn es der Finanzverwaltung genehm ist, besinnt sie sich durchaus auf den Grundsatz von Treu und Glauben. Allerdings hatte auch sie damit seinerzeit keinen Erfolg (BFH-Urteil vom 27.9.2018, V R 49/17, BStBl 2019 II S. 109).

 

Ein Beitrag von:

  • Christian Herold

    • Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
    • Autor zahlreicher Fachbeiträge
    • Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe

    Warum blogge ich hier?

    Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.

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