Arbeitsunfähigkeit: Sollte die telefonische Krankschreibung wieder abgeschafft werden?

Bundesminister Lindner forderte jüngst das Ende der telefonischen Krankschreibung. Er sehe „eine Korrelation zwischen dem Krankenstand in Deutschland und der Einführung der Maßnahme, die als guter Bürokratieabbau gedacht war“. Wird die telefonische Krankschreibung missbraucht, um „blau“ zu machen, obwohl man arbeiten kann?

Hintergrund

Die ärztliche Feststellung und Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit – die sog. Krankschreibung – ist in der Regel die Voraussetzung für den Anspruch von gesetzlich Versicherten auf Entgeltfortzahlung nach dem EFZG oder Krankengeld. In der Arbeitsunfähigkeits-​Richtlinie (AU-RL) des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA) ist festgelegt, welche Regeln dabei zu beachten sind.

Grundsätzlich gilt, dass die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Ausstellung der Bescheinigung nur aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen darf. Da mit der telefonischen Krankschreibung das Risiko sinkt, sich im ärztlichen Wartezimmer anzustecken, hat sich dieses Instrument vor allem während der Corona-Pandemie bewährt.

Mit dem Arzneimittel-​Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) vom 19.7.2023 wurde deshalb der G-BA in § 92 Abs.4a S. 5 SGB V beauftragt, in seiner AU-RL die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit bei Erkrankungen, die keine schwere Symptomatik vorweisen, und ausschließlich für in der jeweiligen ärztlichen Praxis bekannten Versicherten auch nach telefonischer Anamnese zu ermöglichen.

Dies hat der „Gemeinsame Bundesausschuss“ (G-BA) dann am 7.12.2023 beschlossen. Für eine Krankschreibung müssen Patienten seit dem 7.12.2023 nicht mehr zwingend in die Arztpraxis kommen, sondern können sich unter bestimmten Voraussetzungen auch nach telefonischer Anamnese krankschreiben lassen. Eltern können eine ärztliche Bescheinigung bei Erkrankung ihres Kindes ebenfalls per Telefon erhalten. Die Bescheinigung ist Voraussetzung dafür, dass berufstätige Eltern Krankengeld erhalten, wenn sie ihr krankes Kind betreuen. Die Arztpraxis übermittelt bei Krankschreibung die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) seit Anfang 2023 automatisch an die Krankenkasse. Der Arbeitgeber kann sie dort elektronisch abrufen. Der Beschäftigte muss seinen Arbeitgeber aber weiterhin über seine Krankschreibung informieren.

Welche Voraussetzungen gelten für die telefonische Krankschreibung?

  • Der Patient muss in der jeweiligen Arztpraxis bereits bekannt sein.
  • Zudem darf keine schwere Symptomatik vorliegen, denn in diesem Fall müsste die Erkrankung durch eine unmittelbare persönliche Untersuchung abgeklärt werden. Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann der Arzt nach telefonischer Anamnese die Erstbescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit für bis zu 5 Kalendertage ausstellen.
  • Besteht die telefonisch festgestellte Erkrankung fort, muss der Patient für die Folgebescheinigung der Arbeitsunfähigkeit die Arztpraxis aufsuchen.
  • Im Fall, dass die erstmalige Bescheinigung anlässlich eines Praxisbesuchs ausgestellt wurde, sind Feststellungen einer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit auch per Telefon möglich.
  • Ein Anspruch der Versicherten auf eine Anamnese und Feststellung der Arbeitsunfähigkeit per Telefon besteht nicht.

Sollte die telefonische Krankschreibung wieder wegfallen?

Im Zuge ihrer Wachstumsinitiative für die Wirtschaft hat die Bundesregierung allerdings wegen des erhöhten Krankenstands eine Überprüfung der telefonischen Krankschreibung vereinbart. Hintergrund ist, dass für Arbeitgeber in Deutschland der hohe Krankenstand vor allem ein Kostenproblem darstellt, weil sie bis zu sechs Wochen lang den Lohn für einen erkrankten Arbeitnehmer fortzahlen müssen (§ 3 Abs.1 S.1 EFZG).

2023 betrugen laut einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) die Lohnfortzahlungen 76,7 Milliarden Euro. Dies sei mehr als doppelt so viel wie noch 2010, berichtete das arbeitgebernahe Institut in Köln. Hauptgründe hierfür waren Beschäftigungsaufbau und zum Teil deutliche Lohnzuwächse, die in der Folge zu einem Anstieg des Entgeltfortzahlungsvolumens geführt haben.

Allerdings ist auch der Krankenstand angestiegen: Hat der Dachverband der Betriebskrankenkassen 2010 noch durchschnittlich 13,2 Krankentage verzeichnet, waren es 2022 bereits 22,6 Tage. Hauptursache für die nach wie vor häufigen Fehlzeiten seien ausgeprägte Grippe- und Erkältungswellen, kontinuierlich zugenommen haben auch psychosomatische Erkrankungen.

Nach Einschätzung des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes ist die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung sei medizinisch und versorgungspolitisch eine absolut richtige und sinnvolle Entscheidung gewesen, ein systematischer Missbrauch durch „Blaumacherei“ sei nicht nachweisbar. Hinzu kommen nach Sichtweise der Krankenkassen, dass die Anfang 2023 eingeführte elektronisch übermittelte AU-Bescheinigung zu einem sprunghaften Anstieg der von den Krankenkassen registrierten Krankmeldungen geführt hat; denn die früher an Arbeitgeber und Krankenkassen zu übersendenden „gelben Scheine“ hätten viele Patienten nicht übersandt, wenn sie weniger als sechs Wochen krankgeschrieben wurden.

Fazit

Die Einführung „neuer Spielregeln“ birgt immer auch Risiken, im Fall der telefonischen Krankschreibung auch eine gewisse Missbrauchsanfälligkeit. Per Saldo hat sich das Instrument jedoch bewährt und sollte deshalb nicht ohne Not „über Bord geworfen“ werden.

Denn die telefonische Krankschreibung senkt für andere Patienten die Gefahr, sich im Wartezimmer mit Infekten anzustecken, entlastet damit Patienten und Arztpraxen. Außerdem ist die telefonische Krankschreibung an Reihe von Restriktionen geknüpft, bei deren Einhaltung die Missbrauchsgefahr entsprechend sinkt.

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