Im letzten Jahr habe ich hier im NWB Experten-Blog einige Beiträge zur Rentendoppelbesteuerung veröffentlicht. In meinem heutigen Beitrag analysiere ich in diesem Zusammenhang zwei BVerfG-Beschlüsse zum Vertrauensschutz hinsichtlich ihrer Auswirkungen für Bestandsrentner (Rentenbezieher vor 2005).
Der „Vorteil“ der Ertragsanteils- gegenüber der Vollbesteuerung liegt ökonomisch darin, dass die Wertsteigerungen der Einzahlungsphase letztlich unversteuert bleiben. Die Wertsteigerungen der Auszahlungsphase werden dagegen auch im System der Ertragsanteilsbesteuerung versteuert. Dies geschieht dadurch, dass diese Wertsteigerungen gleichmäßig auf die voraussichtliche Laufzeit der Rente verteilt und einem typisierten Ertragsanteil unterworfen werden. Dabei wurde in den Berechnungen bis 2004 ein Zinssatz von 5,5 %, ab 2005 ein solcher von 3 % angesetzt. Bei der Vollbesteuerung werden dagegen sämtliche Wertsteigerungen erfasst.
Wie sind aber die von Bestandsrentnern bis zur Verkündung des AltEinkG (BGBl 2004 I S. 1427) gebildeten Wertsteigerungen der Einzahlungsphase in der Vergleichs- und Prognoserechnung zur Prüfung auf eine etwaige Doppelbesteuerung zu behandeln?
BVerfG-Beschluss vom 29.09.2015 (2 BvR 2683/11)
Der Beschwerdeführer begehrte für seine Leibrente aus der Basisversorgung die Fortführung der Ertragsanteilsbesteuerung (in seinem Fall 27 % vor, bzw. 18 % nach Inkrafttreten des AltEinkG) statt anstatt des Besteuerungsanteils von 50 % gem. § 22 Nr. 1 S. 3 a)aa) EStG.
Vertrauensschutz wurde jedoch nicht gewährt, da es sich bei der Anhebung von 27 % auf 50 % um eine – zulässige – „unechte Rückwirkung“ handelte. Die steuerlichen Folgen treten erst nach Verkündung ein. Die Besteuerung der vor dem 01.01.2005 ausgezahlten Renten wird nicht rückwirkend neu geregelt. Zwar greift das Gesetz in Tatbestände ein, die bereits vor seiner Verkündung „in Gang gesetzt“ wurden, dies ist aber zur Förderung des Gesetzeszweckes geeignet und erforderlich und für den Beschwerdeführer zumutbar.
BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 (2 BvL 14/02)
Erhellend ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf den Beschluss des BVerfG vom 07.07.2010. Danach verstieß die Verlängerung der früher sogenannten Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre bei der Veräußerung von Grundstücken durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (BGBl 1999 I S. 402) teilweise den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und war insoweit nichtig. Dies betrifft die steuerliche Erfassung von Wertsteigerungen in Veräußerungsgewinnen, die bis zur Verkündung des Gesetzes am 31. März 1999 entstanden sind und nach der zuvor geltenden Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Verkündung steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten realisiert werden können.
Wer demnach nach Verkündung des Gesetzes ein Grundstück veräußerte, bei dem die zweijährige Frist abgelaufen war, die zehnjährige jedoch noch nicht, konnte die bis zur Verkündung des Gesetzes eingetretenen Wertsteigerungen steuerfrei vereinnahmen. Die Verlängerung der Spekulationsfrist entfaltete für die bereits „ins Werk gesetzten“ Sachverhalte eine unechte Rückwirkung, die dem Gebot einer folgerichtigen Ausgestaltung der einkommensteuerrechtlichen Belastungsentscheidungen zuwiderlief und einer besonderen Begründung bedurfte. Hinreichend gewichtige Gründe dafür konnte das Gericht jedoch nicht erkennen. Allgemeiner Finanzbedarf rechtfertigte den Zugriff auf zuvor nicht steuerbare Wertsteigerungen der Vergangenheit nicht.
Bei Anwendung dieser Grundsätze wäre m.E. auch der Zugriff auf zuvor nicht steuerbare Wertsteigerungen der Vergangenheit (also bis 2004) aus Vertrauensschutzgesichtspunkten unzulässig. Jedenfalls die Rentnerkohorten bis 2004 haben diese Wertsteigerungen auch bereits realisiert. In den Steuerbescheiden der Bestandsrentner sind die Wertsteigerungen der Einzahlungsphase der damaligen Rechtslage entsprechend als nicht steuerbar behandelt worden; insoweit sind die Sachverhalte nicht nur ins Werk gesetzt, sondern abgeschlossen.
Auswirkungen auf die Vergleichs- und Prognoserechnung
Auch wenn das BVerfG die Rückwirkungen des AltEinkG lediglich als „unechte“ beurteilt, so ist m.E. hinsichtlich des Verbots der Doppelbesteuerung von einer „echten“ Rückwirkung auszugehen, denn die Bestandsrentner hatte die Wertsteigerungen der Einzahlungsphase bereits realisiert. Sie haben zwar keinen Anspruch auf eine Fortführung der Ertragsanteilsbesteuerung, allerdings ist die Vollbesteuerung nur bis zur Grenze der Doppelbesteuerung zulässig.
In der Kontrollrechnung zur Feststellung einer etwaigen Doppelbesteuerung sind deshalb die Wertsteigerungen der Einzahlungsphase rechnerisch als geleistete Altersvorsorgebeiträge anzusetzen. Damit wird erreicht, dass nur die Wertsteigerungen der Auszahlungsphase (voll) besteuert werden dürfen.
Im Ergebnis kann deshalb auf eine Kontrollrechnung vollständig verzichtet werden. Bestandsrentner versteuern nur die Anpassungsbeträge (Wertsteigerungen) ihrer Renten ab Inkrafttreten des AltEinkG. Die Wertsteigerungen der Einzahlungsphase bleiben geschützt.
Auf diese Weise bleibt die Rechtsprechung des BVerfG zum AltEinkG unangetastet; Bestandsrentner erhalten jedoch über den „Umweg“ Verbot der Doppelbesteuerung vollen Vertrauensschutz für die realisierten Wertsteigerungen der Einzahlungsphase. Es erfolgt zwar keine Ertragsanteilsbesteuerung nach der Tabelle des § 22 Nr. 1 S 3 a)bb) EStG; das rechnerische Ergebnis entspricht jedoch genau einer solchen, sofern die typisierten Laufzeiten der Renten und der typisierte Rechnungszinsfuß von 3 % Wertsteigerung pro Jahr tatsächlich eintreten.
Fazit
Steuerpflichtigen, die bereits vor 2004 Leibrenten aus der Basisversorgung bezogen haben, ist bisher der Vertrauensschutz ihre in der Einzahlungsphase gebildeten Wertsteigerungen zu Unrecht nicht gewährt worden, weil der ökonomische Unterschied zwischen Ertragsanteils- und Vollbesteuerung verkannt wurde. Da diese Rentner inzwischen aber hochbetagt sind, dürfte den Gerichten eine Fortentwicklung der Rechtsprechung und die „indirekte“ Gewährung von Vertrauensschutz zuzumuten sein.