In vielen Artikeln zur verlängerten Abgabefrist für die Einkommensteuererklärung heißt es: „Ab 2019 haben Sie für die Erstellung Ihrer Steuererklärung zwei Monate mehr Zeit, denn der Termin für die Abgabe der Einkommensteuererklärung verschiebt sich für die Pflichtveranlagten bzw. Steuerzahler ohne Berater um zwei Monate nach hinten. Statt bis Ende Mai muss die Steuererklärung nun erst bis 31. Juli abgegeben werden. Dadurch haben Sie weniger Stress.“
Doch ist das richtig? Ich meine nicht die Frist an sich, sondern die Sache mit dem Stress.
Meiner bescheidenen Erfahrung nach ist der 31. Mai in den letzten Jahren ohnehin mehr als Richtwert wahrgenommen worden. Zwar gab es immer wieder Versuche der Finanzämter, die Steuerzahler zu einer frühzeitigeren Abgabe ihrer Erklärung zu bewegen, beispielsweise indem bereits im Juni oder Juli gemahnt worden ist.
Allerdings habe ich den Eindruck gewonnen, dass viele dieser Versuche wenig gefruchtet haben und die Finanzverwaltung letztlich doch immer den 30. September oder gar den 31. Dezember als Abgabetermin akzeptiert hat, und zwar auch bei Steuerzahlern ohne Berater. Insofern ergibt sich in der Praxis eigentlich keine Änderung. Besser gesagt: Es ergibt sich eventuell sogar eine Änderung zulasten der Steuerzahler, denn die Finanzverwaltung wird möglicherweise für nach dem 31. Juli abgegebene Steuererklärungen von „Beratungslosen“ intensiver Verspätungszuschläge festsetzen.
Das wiederum führt dazu, dass diejenigen, die die Sommerpause für ihre Steuererklärung genutzt haben, um diese dann bis zum 30. September zu erstellen, sogar zwei Monate früher „loslegen“ müssen. Nach meinem Dafürhalten gibt es daher nicht weniger, sondern mehr Stress.
Doch wie gesagt: Das ist meine bescheidene Meinung. Was denken Sie? Wie sind Ihre Erfahrungen?
Die Intensität des Stresses ist von der Dauer der Frist unabhängig. Der Stress entsteht nicht „mehr“ oder „weniger“, sondern nur früher oder später.
Dem Eindruck schließe ich mich an. Ich glaube allerdings auch, dass dies kein Hilfsmittel gegen eine eventuell schon bestehende latente „Aufschieberitis“ ist.
Nach der Neufassung des § 149 Abs. 2 AO muss die ESt-Erklärung 2018 – soweit nicht von einem Steuerberater bearbeitet – spätestens sieben Monate nach Ablauf des Kalenderjahres 2018 eingereicht werden. Nach § 152 Abs. 2 AO ist ein Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn die Erklärung nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres eingereicht wurde. Das Finanzamt hat also einen Ermessensspielraum, ob es zwischen dem 1.8.2019 und dem 2.3.2020 (Fristverlängerung wegen Schaltjahr 2020) einen Verspätungszuschlag festsetzt. Es bleibt abzuwarten, ob und in welchen Fällen die Finanzverwaltung von ihrem Ermessensspielraum Gebrauch machen wird (je nach Einzelfall oder großzügige Regelung?). Steuerbürger, die bisher bereits Fristen bereits nicht eingehalten haben, sollten termingerecht ihre Erklärung einreichen.
Klaus Kehrein, StOAR a.D.