Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes sind grundsätzlich nach der Fünftel-Regelung des § 34 EStG ermäßigt zu besteuern. Bei der Zahlung des Arbeitgebers muss es sich aber um eine „echte“ Entschädigung (§ 24 Nr. 1 EStG) handeln, das heißt, der Arbeitnehmer muss etwas „verloren“ haben, das es nun auszugleichen gilt.
Aber hat ein Arbeitnehmer etwas verloren, wenn er aufgrund der Verschiebung von Unternehmensteilen zwar einen neuen Arbeitgeber erhält, ihm aber ein unbefristetes Rückkehrrecht zu seinem früheren Arbeitgeber eingeräumt wird?
Das Niedersächsische FG hat zu dem Thema mit einer ganzen Batterie von Urteilen Stellung genommen, sich aber gegen die Anwendung der Fünftel-Regelung der Abfindungen entschieden, und zwar obwohl der neue Arbeitgeber nicht – mehr – zum Konzernverbund gehörte (Niedersächsisches FG, Urteile vom 15.2.2024, 2 K 52/23, 2 K 72/23, 2 K 55/23, 2 K 71/23).
Die Sachverhalte:
Der Einfachheit halber erlaube ich mir nachfolgend, aus der Presseinformation des Niedersächsischen FG zu zitieren (Newsletter 4/24): Die betroffenen Arbeitnehmer waren über viele Jahre in der Produktionssparte eines inländischen Konzerns angestellt. Die Produktionssparte wurde zunächst im Rahmen eines ersten Betriebsüberganges i.S. des § 613 a BGB auf eine neue Gesellschaft innerhalb des Konzerns und sodann im Rahmen eines zweiten Betriebsüberganges auf eine Tochtergesellschaft, ebenfalls im Konzernverbund, übertragen. In der Folgezeit firmierte die Tochtergesellschaft um und wurde per Sharedeal an eine ausländische – konzernfremde – Gesellschaft übertragen. Vor dem ersten Betriebsübergang wurde vereinbart, dass die Arbeitnehmer der Produktionssparte bei der Ausgliederung so zu behandeln sind, als wären sie noch bei der Konzerngesellschaft beschäftigt. Eine weitere spätere Vereinbarung sicherte den Beschäftigten zudem bei betriebsbedingter Kündigung entweder ein Rückkehrrecht zur deutschen Konzerngesellschaft oder eine Abfindung zu. Einige Jahre nach Abschluss des Sharedeals kam es zu einer Vielzahl von betriebsbedingten Kündigungen und zur Zahlung von Abfindungen, und zwar von der konzernfremden Gesellschaft. Ein Teil der Beschäftigten nahm die Abfindung und machte von dem Rückkehrrecht zum deutschen Konzern Gebrauch. Ein anderer Teil kehrte zwar auch zurück, allerdings lediglich für eine juristische Sekunde, und schied dann endgültig aus dem Konzern gegen Zahlung einer weiteren Abfindung aus.
Das Finanzamt unterwarf die seitens des ausländischen Unternehmens aufgrund der betriebsbedingten Kündigung gezahlte erste Abfindung in allen Fällen der tariflichen Einkommensteuer. Das Niedersächsische FG hat die Auffassung der Finanzverwaltung bestätigt. Die streitige erste Abfindung könne nicht nach §§ 24, 34 EStG ermäßigt besteuert werden, und zwar sowohl für die Fälle, in denen die Beschäftigten langfristig in der deutschen Konzerngesellschaft verblieben sind, als auch in den Fällen, in denen eine zweite (im Übrigen unstreitig ermäßigt zu besteuernde) Abfindung gezahlt wurde.
Die Begründung:
Voraussetzung für die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG ist unter anderem, dass die Abfindung eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 EStG darstellt. Dies setzt aber die Beendigung des Tatbestands der Einkünfteerzielung voraus. Eine solche liegt nicht vor, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Konzerns oder anlässlich eines Betriebsübergangs i.S. des § 613a BGB umgesetzt wird und sodann das Arbeitsverhältnis zwar formal mit einem neuen Arbeitgeber, aber im Übrigen im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird. Diese Grundsätze gelten auch in solchen Fällen, in denen eine Umsetzung nicht im Rahmen eines Konzerns oder eines Betriebsübergangs erfolgt, jedoch die beteiligten Unternehmen und der Arbeitnehmer dessen Rückkehr zum vorherigen Arbeitgeber im gegenseitigen Einvernehmen so ausgestaltet haben, dass das bestehende Arbeitsverhältnis im Wesentlichen unverändert mit dem anderen Arbeitgeber fortgesetzt werden konnte (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.2005, XI R 8/05).
Zwar endete das Arbeitsverhältnis mit dem ausländischen Unternehmen durch die Kündigung im Streitjahr zivilrechtlich. Aufgrund der getroffenen Vereinbarungen waren die Arbeitnehmer aber so gestellt, als ob sie nicht aus dem ursprünglichen Konzern ausgeschieden waren. Nur deshalb konnte ihnen eine weitere Abfindung durch den inländischen Konzern gezahlt werden bzw. sie wurden weiter mit Arbeitslohn in unveränderter Höhe beschäftigt, auch wenn der inländische Konzern gegebenenfalls keinen Bedarf hatte. Sie mussten sich nicht auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz begeben, waren nach der Kündigung alle im ersten Schritt nicht der Gefahr eines Arbeitsplatzverlustes ausgesetzt und mussten nach der Rückkehr zum inländischen Konzern keine Probezeit durchlaufen. Soweit sie nicht in den Konzern zurückkehren wollten, hatten sie Anspruch auf eine hohe weitere Abfindung, obwohl sie faktisch nicht mehr gearbeitet haben.
Ohne die konzernrechtlichen Regelungen hätte kein früherer Arbeitgeber für vor Jahren ausgeschiedene Arbeitnehmer Abfindungen gezahlt. Weiterhin hätte ein konzernfremder Arbeitgeber niemanden zu einem früheren Gehalt angestellt, wenn kein entsprechender Arbeitsplatz vorhanden war. Nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise lebte die frühere Konzernzugehörigkeit wieder auf. Nur deshalb wurde eine weitere Abfindung gezahlt. Daher war der Tatbestand der Einkünfteerzielung wirtschaftlich betrachtet nicht beendet und eine ermäßigte Besteuerung nicht gerechtfertigt.
Denkanstoß:
Die Urteile bewegen sich im Spannungsfeld von zivil- bzw. arbeitsrechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtung. In dem o.g. BFH-Urteil vom 13.12.2005 (XI R 8/05) wurde der wirtschaftlichen Betrachtung, wonach der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeberwechsel kaum belastet war, mehr Gewicht beigemessen. Insofern liegen die Besprechungsurteile auf der bisherigen Linie des BFH und es war daher wohl auch folgerichtig, dass das FG die Revisionen nicht zugelassen hatte.
Doch es liegen zwischenzeitlich die Nichtzulassungsbeschwerden vor. Die Az. lauten IX B 34/24, IX B 37/24, IX B 36/24, IX B 38/24. Vielleicht lässt der BFH die Revisionen zu und „schärft“ seine damalige Rechtsprechung. Den Betroffenen wäre es zu wünschen.