Die Koalitionsverhandlungen befinden sich auf der Zielgeraden, aber noch viele Details der Arbeitsgruppenentwürfe für einen Koalitionsvertrag sind zwischen CDU/CSU und SPD noch umstritten. Setzt die mutmaßliche künftige Bundesregierung womöglich die falschen Schwerpunkte in der Wirtschaftspolitik?
Hintergrund
In den letzten Wochen hat sich die wirtschaftliche Lage dramatisch zugespitzt. Handelskonflikte mit (US-)Strafzöllen eskalieren, die Inflation steigt, das Wachstum schwächt sich weiter ab – überall verdichten sich die Krisensignale. Inzwischen ist die Arbeitslosigkeit bei der Drei-Millionen-Marke angekommen. Deutschland steckt aktuell in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Der neue Bundestag hat sich am 25.3.2025 konstituiert, die Regierungsbildung steht aber noch aus, die Inhalte eines Koalitionsvertrages sind auch knapp zwei Wochen vor Ostern – dem zeitlichen Ziel für den Abschluss der Koalitionsverhandlungen – noch umstritten.
Koalitionspartner haben Arbeitsgruppen eingerichtet
Für die Vorbereitung eines finalen Koalitionsvertrages haben CDU/CSU und SPD insgesamt 16 Arbeitsgruppen (AG) eingerichtet. Die AG2 befasst sich mit „Wirtschaft, Industrie und Tourismus“; in ihrem zehn Seiten umfassenden Papier formuliert in 336 Zeilen Zielvorstellungen in allen möglichen Feldern der Wirtschaftspolitik, deren Inhalte längst nicht in allen Einzelpunkten zwischen den Verhandlungspartnern geeint sind.
Konkreter und Grundlage der aktuellen Koalitionsgespräche sind da schon die Inhalte des „Sondierungspapiers“ (v. 8.3.2025), das sich im zweiten Kapitel (Zeilen 88 – 180) mit der „Wirtschaft“ befasst. Mit Innovations- und Investitionsförderung sollen nachhaltiges Wachstum, neuer Wohlstand gefördert werden und neue Arbeitsplätze entstehen, heißt es dort. Schwerpunkte sind wettbewerbsfähige Energiekosten mit niedrigen Industriestrompreise, Erhaltung der Automobilindustrie als Leitindustrie (einschl. Schaffung von Kaufanreizen zur Förderung der E-Mobilität), Entlastung der breiten Mittelschicht durch eine Einkommensteuerreform und Erhöhung der Pendlerpauschale, „Einstieg“ in eine Unternehmenssteuerreform sowie dauerhafte Senkung der Umsatzsteuer auf Speisen auf sieben Prozent „zur Entlastung von Gastronomie und Verbrauchern“.
Wirtschaftsverbände schlagen Alarm
Inzwischen schlagen allerdings die Wirtschaftsverbände besorgt Alarm, die in Summe rund 4 Mio. Unternehmen aus Industrie, Handel, Dienstleistungen und Handwerk repräsentieren. Die rund 160 Wirtschaftsverbände mahnen an, dass der Koalitionsvertrag „deutlich mehr Ambition zeigen (müsse), als es bisherige Zwischenstände erwarten lassen“. Der Kern der Verbändeerwartungen richtet sich dabei auf vier Felder:
- Steuerbelastung: Deutschland nimmt aktuell bei den Steuersätzen für Unternehmen und Betriebe mit rund 30 Prozent international eine Spitzenposition ein, was sich zu einem erheblichen Standortnachteil entwickelt hat. Die Steuerbelastung der Unternehmen und Betriebe muss spürbar reduziert werden. Ziel muss es sein, die derzeitige Steuerbelastung der Unternehmen – zumindest schrittweise – auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau von maximal 25 Prozent abzusenken.
- Soziale Sicherungssysteme: Diesemüssen dringend reformiert werden, um sie finanzierbar, zukunftsfest und generationengerecht zu gestalten. Denn für Unternehmen und lohnintensive Betriebe bedeuten steigende Beitragssätze ein Mehr an Belastung und eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit, bei Beschäftigten führen sie zu weniger Nettoeinkommen.
- Bürokratieabbau: Der Staat muss schneller und effizienter werden, dem Abbau von Bürokratielastenfür die Wirtschaft (insbesondere beim Abbau von Berichts- und Dokumentationspflichten) muss höchste Priorität eingeräumt werden. Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen über alle Fachgesetze hinweg vereinfacht und verkürzt werden.
- Energiekosten: Hohe Energiekosten sind zu einem wesentlichen Wettbewerbsnachteil der deutschen Wirtschaft geworden. Deutschland braucht wieder international konkurrenzfähige Energiepreise(Strom, Gas, Wasserstoff) und mehr Versorgungssicherheit.
Bewertung
Wenn sich führende Wirtschaftsverbände in einem „Brandbrief“ in laufende Koalitionsverhandlungen „einmischen“ und nicht im Nachhinein Ergebnisse bewerten, ist dies schon ein besonderer Vorgang – ein „Weckruf“. Und zu Recht: Wer die Arbeitsgruppenpapiere der künftigen Koalitionäre und das Sondierungspapier aufmerksam liest, ob sich hier die mutmaßlich künftige Bundesregierung nicht (schon wieder) in Details verstrickt anstatt sich zunächst auf eine große Linie und grundsätzliche Projekte zu beschränken: Die Entwicklung der Weltpolitik lehrt inzwischen, dass die Weltkugel viel zu schnell dreht, als dass man Verabredungen für eine gesamte vierjährige Legislatur verabreden könnte oder müsste. Und die mutmaßlichen Koalitionäre sollten sich auch gut überlegen, ob es sich unser Staat aktuell konsumtive Ausgaben (z.B. Pendlerpauschale, Umsatzsteuersenkung in der Gastronomie oder Verbesserungen bei der Mütterrente) leisten kann und soll, bloß um Wahlversprechen bei der jeweiligen Klientel einzulösen.
Ein großer Wurf sieht anders aus!
Ein Beitrag von:
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- Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg
- Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt
- Honorarprofessor an der Universität Würzburg
Warum blogge ich hier?
Mein erster Blog bietet die Möglichkeit, das Thema der Pflicht der „Pflichtmitgliedschaft in Kammern“ „anzustoßen“ und in die Diskussion zu bringen. Bei genauem Hinsehen sichert der „Kammerzwang“ nämlich Freiheitsrechte durch die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Partizipation.