Keine Erbschaftsteuerbefreiung ohne tatsächlichem Wohnen im „Familiendomizil“

Die Vererbung des selbstgenutzten Familienheims ist unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG). Unter anderem muss der Erbe die Immobilie nach der Erbschaft zehn Jahre lang selbst zu Wohnzwecken nutzen. Vor allem aber muss es sich tatsächlich um ein „Familienheim“ im erbschaftsteuerlichen Sinne handeln. Es reicht nicht aus, wenn die Wohnung oder das Haus vom Erblasser und seinen Erben als „Familiendomizil“ betrachtet worden ist.

Das FG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass eine zum Nachlass gehörende Wohnung kein Familienheim darstellt, wenn die Wohnung zu keinem Zeitpunkt vor dem Erbfall von der Erblasserin zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurde. Folglich scheidet eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG aus (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.12.2024, 14 K 14131/22).

Der Sachverhalt in aller Kürze:

Der Sohn erbte von seiner Mutter im Jahre 2020 die Eigentumswohnung in der B-Straße und einen hälftigen Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung in der D-Straße. Beide Immobilien sind ca. 130 Meter voneinander entfernt. Die Wohnung in der B-Straße wurde von der Mutter bis zu ihrem Tod bewohnt. Der Sohn wohnte in der Wohnung in der D-Straße. Er erklärte, dass seine Mutter eigentlich auch in die Wohnung D-Straße einziehen wollte. Diese hatte die Mutter selbst im Jahre 2019 geerbt. Sie sei zum damaligen Zeitpunkt aber bereits sehr krank gewesen, weshalb ein Umzug in diese Wohnung nicht mehr möglich gewesen sei. Die beiden Wohnungen in der B-Straße und der D-Straße seien jedoch immer als eine Einheit und als Familiendomizil betrachtet worden. Folglich sei dem Sohn nun für den Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung in der D-Straße die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG zu gewähren. Finanzamt und Finanzgericht versagten die Steuerbefreiung jedoch.

Die Begründung in aller Kürze:

Die zum Nachlass gehörende Wohnung D-Straße stellt kein Familienheim dar, weil die Wohnung zu keinem Zeitpunkt vor dem Erbfall den Mittelpunkt des familiären Lebens der Erblasserin gebildet hat. Hat der Erblasser zu keinem Zeitpunkt selbst in dem vererbten Haus oder der Wohnung gelebt, so kann sich dort niemals der „Mittelpunkt des familiären Lebens” befunden haben. Dies aber ist nach dem insoweit übereinstimmenden Begriffsverständnis des „Familienheims” erforderlich.

Es kann auch nicht deshalb etwas anderes gelten, weil die beiden Wohnungen in der Familie immer als eine Einheit betrachtet worden seien. Eine solche Einheitsbetrachtung würde für erbschaftsteuerliche Zwecke bereits daran scheitern, dass es sich bei den Wohnhäusern um baulich voneinander getrennte Immobilien und demgemäß um steuer- und bewertungsrechtlich separate Vermögenswerte gehandelt hat. Schon zur Vermeidung von missbräuchlichen Gestaltungen kann es von vornherein nicht in Betracht kommen, solche separaten Vermögenswerte aufgrund subjektiver Vorstellungen der Beteiligten als Einheit zu behandeln.

Dass die Erblasserin aus gesundheitlichen Gründen nicht dazu in der Lage war, die Wohnung D-Straße zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen, ändert daran nichts.

Denkanstoß:

Dem Kläger war laut FG zwar zuzugeben, dass der bloße Gesetzeswortlaut („… bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung … gehindert war”) nach allgemeinem Sprachverständnis auch den Fall einschließen könnte, dass der Erblasser – das Vorliegen zwingender Gründe vorausgesetzt – die betreffende Wohnung zu keinem Zeitpunkt zwischen deren Anschaffung und seinem Versterben zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat; denn der Wortlaut enthält in der mit „oder” eingeleiteten Alternative keine entsprechende Einschränkung etwa dergestalt, dass die Hinderung erst „…nach anfänglicher Selbstnutzung…” eingetreten sein darf. Das FG hielt aber aus teleologischen Gründen eine den Wortlaut einschränkende Auslegung der Norm für geboten. Hat der Erblasser zu keinem Zeitpunkt selbst in dem vererbten Haus oder der Wohnung gelebt, so könne sich in dem Haus niemals der „Mittelpunkt des familiären Lebens” befunden haben. Dies aber sei nach dem insoweit übereinstimmenden Begriffsverständnis des „Familienheims” in § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1, Nr. 4b Satz 1 und Nr. 4c Satz 1 ErbStG erforderlich.

Das FG Berlin-Brandenburg hatte im Besprechungsfall die Revision zugelassen. Diese ist aber leider nicht eingelegt worden. Vielleicht liegt dies daran, dass andere Gerichte ähnlich wie das FG Berlin-Brandenburg geurteilt haben (vgl. z.B. FG München, Urteil vom 24.2.2016, 4 K 2885/14). Jedenfalls besteht eine geringe Chance, dass der BFH die Sache eines Tages anders sehen wird, wenn ihm ein ähnlicher Fall vorgelegt wird.

Ein Beitrag von:

  • Christian Herold

    • Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
    • Autor zahlreicher Fachbeiträge
    • Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe

    Warum blogge ich hier?

    Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.

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