„VW meldet deutlichen Gewinneinbruch“ – so lauten die Schlagzeilen zum Geschäftsbericht 2024 des DAX-Konzerns. Tatsächlich ist der Gewinn um mehr als 30 % eingebrochen – und das trotz stabiler Umsatzerlöse. Doch bedeutet das, dass es VW wirklich schlechter geht? Ein Blick in die Kapitalflussrechnung und die Hintergründe der Ergebnisbelastungen zeigt ein differenzierteres Bild.
Was der Blick in den Geschäftsbericht verrät
Der Gewinn sank um mehr als 30 % von knapp 18 Mrd. € auf 12 Mrd. € – und das, obwohl der Umsatz mit 324 Mrd. € gegenüber dem Vorjahr leicht gestiegen ist. Doch ein Blick in die Kapitalflussrechnung zeigt: Der operative Cashflow war deutlich robuster als das Ergebnis. Er ging nur um rund 10 % zurück. Was bedeutet das? Die Gründe für den Gewinneinbruch spiegeln sich nicht in der Liquidität wider.
Gehen wir den Ursachen auf den Grund. Ein wesentlicher Punkt – wenig überraschend – sind die hohen Restrukturierungsaufwendungen. Sie werden in der Gewinn- und Verlustrechnung unter den sonstigen betrieblichen Aufwendungen ausgewiesen. Man muss also in den Anhang schauen, um mehr darüber zu erfahren. Sie belasten das Ergebnis mit immerhin 2,5 Mrd. €. Ein explosionsartiger Anstieg gegenüber dem Vorjahr.
Neben den Restrukturierungsaufwendungen belastet auch das deutlich schlechtere Finanzergebnis das Ergebnis. Die Gründe für das negative Finanzergebnis erläutert der Konzern im Lagebericht auf Seite 122:
„Das Finanzergebnis lag mit -2,3 (0,6) Mrd. € unter dem Wert des Vorjahres. Das Ergebnis aus At Equity bewerteten Anteile war unter anderem aufgrund der gesunkenen Ergebnisse der chinesischen Gemeinschaftsunternehmen geringer als ein Jahr zuvor. Aus der finalen Abwicklung der Argo AI ergab sich im dritten Quartal 2024 ein Ertrag. Im Übrigen Finanzergebnis führten vor allem die Wertberichtigungen im Zusammenhang mit Northvolt zu einem unter dem Vorjahr liegenden Ergebnis.“
Ein paar Worte zu Forschung und Entwicklung: Die Aktivierungsquote lag 2024 mit 48,8 % unter dem Niveau des Vorjahres. Was bedeutet das? Die Aktivierungsquote gibt den Anteil der in der Bilanz aktivierten Entwicklungskosten an den gesamten F&E-Aufwendungen eines Geschäftsjahres an. Eine niedrigere Aktivierungsquote erhöht die F&E-Kosten und schmälert den Gewinn. Für den Cashflow ist es übrigens unerheblich, ob die Entwicklungskosten direkt als Aufwand verbucht oder nach Fertigstellung aktiviert und planmäßig über die Nutzungsdauer abgeschrieben werden.
Und mein Senf dazu
Es ist wahr. Die Gewinne sind eingebrochen. Und das nicht unerheblich. Aber ein Blick in die Kapitalflussrechnung zeigt: Der Cashflow ist deutlich robuster. Denn ihm sind Wertberichtigungen, Abschreibungen und eine sinkende Aktivierungsquote von Entwicklungskosten egal. Denn diese drei sind nicht zahlungswirksam, sondern belasten nur das Ergebnis.
Was die Abschreibungen hier zu suchen haben? Ein Teil der Restrukturierungsaufwendungen sind Abschreibungen, wie VW im Geschäftsbericht auf Seite 120 ausweist. Es ist wichtig zu unterscheiden, was sich hinter den Restrukturierungsaufwendungen verbirgt: Bei Rückstellungen für Abfindungen etc. fließen in Zukunft noch liquide Mittel ab, bei Abschreibungen nicht mehr.
Die Entwicklung der Aktivierungsquote wirft Fragen auf: Waren die F&E-Projekte in den letzten Jahren weniger erfolgreich, sodass sie die strengen Aktivierungskriterien seltener erfüllten? Oder hat VW bewusst einen geringeren Anteil aktiviert, um das Ergebnis zu drücken? Beides hätte unterschiedliche Implikationen – entweder für die Innovationskraft des Unternehmens oder für seine bilanzpolitische Strategie.
Der Gewinneinbruch ist unübersehbar – doch ohne Kontext sagt er wenig aus. Wer nur die GuV betrachtet, übersieht, dass der operative Cashflow weit stabiler ist. Wertberichtigungen und eine sinkende Aktivierungsquote sind buchhalterische Effekte, aber keine Liquiditätsabflüsse. Das zeigt: Die Finanzkraft von VW ist robuster, als es der bloße Gewinnrückgang vermuten lässt.
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