Am 24.09.2017 sind die Deutschen zur Wahl gerufen. Doch was kommt wohl danach? Aufschluss geben die Wahlprogramme der Parteien, die dann Startpunkt für die Koalitionsverhandlungen sind. Dieser Blogbeitrag analysiert die steuerpolitischen Perspektiven für natürliche Personen nach der Bundestagswahl 2017.
Familienförderung
Die Förderung von Familien über das Steuersystem hat für alle Parteien große Bedeutung. Nach der Tarifentlastung und dem Soli-Abbau liegt hier unverkennbar ein weiterer Schwerpunkt der steuerlichen Inhalte der Wahlprogramme. Dabei mischt sich der Fördergedanke mit der seit langem anhaltenden Kritik des eher linken politischen Spektrums am Ehegattensplitting.
CDU: Wir nennen es nicht „Familiensplitting“
Die Union umschifft das Reizwort Ehegattensplitting und wendet sich direkt dem Kinderfreibetrag zu. Dieser soll in zwei Schritten auf das Niveau des Erwachsenenfreibetrags steigen. Faktisch ist das ein Schritt in Richtung Familiensplitting, man will es aber nicht so benennen. Die CSU spricht in ihrem Bayernplan stattdessen von einem Kindersplitting. Hintergrund dieser semantischen Übungen dürfte der Wunsch nach Abgrenzung von der AfD sein, welche das Label Familiensplitting besetzt hält.
Wie stark der Kinderfreibetrag in den kommenden vier Jahren (1. Stufe) steigen soll, verrät die Union nicht. Aus der vorgeschlagenen Kindergelderhöhung von monatlich 25 Euro kann man aber Rückschlüsse ziehen. Damit die Steuerersparnis aus der Erhöhung des Kinderfreibetrags der Kindergelderhöhung entspricht, müsste der Freibetrag für Zahler des Spitzensteuersatzes (ohne Soli) um mindestens 714 Euro [(25*12)/0,42] steigen. Damit lägen Kinderfreibetrag und Erziehungsfreibetrag 2018 zusammen bei gut 4.400 Euro. Bis zum Grundfreibetrag für Erwachsene (9.000 Euro ab 2018) wäre es folglich noch ein weiter Weg. Es überrascht nicht, dass die Union diesen teuren Schritt auf die darauffolgende Legislaturperiode vertagt. Schneller soll das Baukindergeld i.H.v. 1.200 Euro jährlich pro Kind für zehn Jahre kommen. Unklar ist, wie dieses recht kostspielige Wahlversprechen rechtlich ausgestaltet wird (Integration ins Einkommensteuerrecht wie beim Kindergeld?).
SPD: Kreativer Ehegattensplitting-Nachfolger
Die Sozialdemokraten sind steuerlich kreativ. Sie erfinden den Familientarif mit Kinderbonus als Nachfolgemodell des Ehegattensplittings. Das Splitting wird dadurch bei einem Betrag von 20.000 Euro gekappt, den die Ehepartner maximal zwischen sich übertragen dürfen, um die Tarifbelastung zu senken. Zusätzlich darf jedes Elternteil 150 Euro pro Kind und Jahr von der Steuerlast abziehen. Wohl um das Bundesverfassungsgericht nicht auf den Plan zu rufen, dürfen Bestandsehen auf Wunsch im alten Splitting verbleiben. Was sich dem Wahlprogramm dabei nicht explizit entnehmen lässt: Eine Reduzierung des bisherigen Splittingvorteils bedeutet für viele künftige Ehepaare eine höhere steuerliche Belastung. Für einkommensschwache Familien werden Kindergeld und Kinderzuschlag zum erweiterten Kindergeld zusammengefasst. Dem Baukindergeld der Union setzt die SPD ein sozial gestaffeltes Familienbaugeld für Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen entgegen.
Die Grünen: Ersatzmodell „Familien-Budget“
Die Grünen wollen ebenfalls das Ehegattensplitting abschaffen und schnurstracks zur Individualbesteuerung übergehen. Zwischen den Ehepartnern übertragbar soll nur noch der Grundfreibetrag sein. Zusammen mit dem Splitting gehen auch Kindergeld und Kinderfreibeträge über Bord. Das Ersatzmodell nennt sich Familien-Budget und entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine etwas undurchsichtige Mischung aus erhöhten Sätzen in der sozialrechtlichen Grundsicherung, einkommensabhängigem „Kindergeld-Bonus“ und einkommensunabhängiger „Kindergrundsicherung“. Bereits verheiratete Paare haben immerhin das Wahlrecht, sich diesem neuen Regelungsdschungel zu entziehen. Sie dürfen im alten Splittingmodell mitsamt Kinderfreibeträgen bleiben.
Die Linke: Steuermodelle der „familienfreundlichen“ Art
Die Linke reiht sich in die Gegner des Splittings ein. Es soll durch nicht näher definierte „familienfreundliche Steuermodelle“ ersetzt werden. Ein nicht ausgeschöpftes steuerliches Existenzminium soll zwischen Eheleuten übertragbar bleiben. Beim Kindergeld nimmt es die Linke umso genauer. Es soll auf exakt 328 Euro erhöht werden.
FDP: Wir „splitten“ weiter
Die FDP bekennt sich dagegen zum bestehenden Splittingverfahren. Die Kinderfreibeträge sollen (auf einen unbestimmten Betrag) angehoben werden. Statt bisher zu zwei Dritteln sollen Kinderbetreuungskosten künftig zu 100% als Sonderausgaben absetzbar sein. Die Obergrenze von 4.000 Euro bleibt bestehen. Die Steuerklasse V wird von der FDP als „einseitiges Modell“ gebrandmarkt und soll verschwinden. Daneben wollen die Liberalen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern, indem die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen von 20% auf 50% angehoben wird. Als besonderes Schmankerl für alle Arbeitnehmer will die FDP den Arbeitnehmerpauschbetrag von derzeit 1.000 Euro anheben.
Die Abgeltungsteuer: Der Countdown in Richtung Geschichte läuft
Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es in den kommenden vier Jahren der Abgeltungsteuer an den Kragen gehen. Selbst die Union bekennt sich in ihrem Wahlprogramm – für viele Beobachter überraschend deutlich – zur Abschaffung der Abgeltungsteuer. Bedingung ist, dass ein funktionierender internationaler Informationsaustausch der Finanzbehörden besteht. Das sollte nach Lage der Dinge im Laufe des Jahres 2018 zu konstatieren sein. Dann werden weltweit knapp 100 Staaten am automatischen Informationsaustausch über Finanzkontodaten nach dem neuen OECD-Standard und der Steuerbürger noch ein Stück überwachbarer. So hatten es die G20 am 02.04.2009 in London beschlossen: „Die Ära des Bankgeheimnisses ist vorüber“.
Übertragen auf die deutsche Abgeltungsteuer entfällt damit ihr zentraler Rechtfertigungsgrund, nämlich einen Anreiz zu setzen, Kapitaleinkünfte überhaupt zu erklären und zu versteuern („Besser 25% auf X, als 42% auf nix“). Neben der Union sehen auch SPD, Grüne und Linke in einem Schwenk zurück zur synthetischen Besteuerung die logische Konsequenz dieser Entwicklung. Die parlamentarische Mehrheit für die Abschaffung der Abgeltungsteuer dürfte damit gesichert sein. Nur die Liberalen schweigen und signalisieren damit, dass von ihnen kein fundamentaler Widerstand zu erwarten ist oder dass sie sich in dieser Frage noch keine abschließende Meinung gebildet haben. Die Parteien drücken sich allerdings um klare Aussagen, die einstmals bei Einführung der Abgeltungsteuer abgeschafften Abzugsmöglichkeiten wiedereinzuführen: Werbungskostenabzug, Sparerfreibetrag, Spekulationsfrist und Verlustverrechnung sind die Stichworte. Für Klarheit sorgt nur die Linke. Die breite Bemessungsgrundlage von heute soll mit den hohen Steuersätzen von damals kombiniert werden.
Fazit:
Es gibt einen breiten Konsens der Parteien, die steuerliche Behandlung von Ehen und Familien zu verändern. Im Wirrwarr des sehr grundlegend geführten konzeptionellen Wettstreits ist schwer abzuschätzen, wie die Modelle sich im Einzelnen auswirken. Der Splittingvorteil kinderloser Gutverdiener-Ehen kommt jedenfalls mehr und mehr unter Druck. Für kinderreiche Familien scheinen sich Entlastungen anzubahnen. Führt man sich vor Augen, dass der Splittingvorteil bei entsprechender Verteilung der Einkommen auch gegen Null gehen kann, wird deutlich, wie schwer einem politisch unerwünschten Splittingvorteil beizukommen sein wird.
Eins zeichnet sich tendenziell ab: Die Abgeltungsteuer könnte in 4 Jahren Geschichte sein.
Lesen Sie hierzu auch folgende Beiträge im NWB Experten-Blog: