Das Vorsichtsprinzip ist der zentrale Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung im Handelsbilanzrecht (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Aus ihm werden insbesondere das Realisations- und das Verlustantizipationsprinzip (Imparitätsprinzip) abgeleitet. Zwar sind die Prinzipien als gesetzliche Bewertungsvorschriften normiert, jedoch auch für die Klärung von Ansatzfragen als GoB anzusehen. In der praktischen Anwendung stellt sich immer wieder die Frage, ob dabei eine Differenzierung zwischen der Aktiv- und der Passivseite vorzunehmen ist. Das kann etwa bei den bilanziellen Folgen einer vom Steuerpflichtigen bestrittenen Steuerverpflichtung ein Thema sein.
Für den Fall einer Steuernachforderung des Fiskus, die vom Steuerpflichtigen bestritten und mit Rechtsmittel angegriffen wird, sind zwei Fälle zu unterscheiden. Einerseits kann bereits eine Zahlung an den Fiskus erfolgt sein. Hier ist fraglich, ob im Jahresabschluss eine Forderung gegenüber dem Fiskus anzusetzen ist. Ist noch keine Zahlung erfolgt, stellt sich die Frage, ob der Sachverhalt in den Steuerrückstellungen zu berücksichtigen ist. Eine Steuerverbindlichkeit dürfte wegen der Unsicherheit aufgrund des Rechtsbehelfsverfahrens regelmäßig nicht in Betracht kommen. Unterbleibt nach Zahlung der Ansatz einer Forderung oder wird eine Rückstellung gebildet, führt das zu Steueraufwand. Mit der Lösung dieser Fragen hat sich jüngst auch der Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer befasst.
Die von der Finanzbehörde festgesetzte Steuerschuld wird in einen gesetzmäßig festgesetzten (akzeptierten) Teil und einen gegebenenfalls über die gesetzmäßige Schuld hinausgehenden Teil (bestrittene Steuerschuld) aufgeteilt. Die Zahlungsverpflichtung bezieht sich zunächst auf den Gesamtbetrag. Die bilanziellen Folgen für den bestrittenen Teil der Steuerverpflichtung hängen dabei von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfsverfahrens ab. Das Vorliegen einer Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist für die Bilanzierung nicht relevant.
Ist der bestrittene Teil der Steuerverpflichtung an den Fiskus abgeführt worden, kommt nach Auffassung des IDW die Aktivierung einer Forderung insbesondere dann in Betracht, wenn schon ein Rechtsanspruch auf Rückzahlung besteht. Davon ist auszugehen, sobald der Steuerbescheid im Einspruchs- oder Klageverfahren aufgehoben oder geändert wurde und damit der Rückzahlungsanspruch entstanden ist. Eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Obsiegen des Steuerpflichtigen im noch laufenden Rechtsbehelfsverfahren reicht danach für den Ansatz einer Forderung noch nicht aus, sondern es muss zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen eines Anspruchs auszugehen sein. Das wäre etwa bei einer offenbaren Unrichtigkeit gegeben.
Wurde der bestrittene Teil der Steuerforderung noch nicht abgeführt, ist eine Rückstellung dem Grunde und der Höhe nach dann anzusetzen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Für den Ansatz spielen Wahrscheinlichkeitsüberlegungen eine Rolle bei der Frage, ob vom Vorliegen einer Verpflichtung auszugehen ist und im Hinblick auf die Inanspruchnahme. Im Umkehrschluss zum Ansatz einer Forderung könnte man auf den Gedanken kommen, hier auf eine Rückstellung nur dann zu verzichten, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Verpflichtung vorliegt. Das entspricht aber weder Literatur noch Rechtsprechung bezüglich Rückstellungen. Gerade die Rechtsprechung zum Ansatz von Rückstellungen hält hier einen bunten Strauß von Lösungen bereit. Gängig ist etwa die Formulierung, es müsse mehr dafür als gegen sprechen, was aber nicht als überwiegende quantitative Wahrscheinlichkeit im stochastischen Sinne zu verstehen sei. Aus Vorsichtsgründen wird dabei nicht von der Anforderung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Passivierung einer Rückstellung auszugehen sein. Letztlich bleibt es in der Regel bei einer qualitativen Abwägung der Gründe für und gegen das Vorliegen einer Verpflichtung im Einzelfall. Weil aber eine Rückstellung nicht erst dann ausgeschlossen wird, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Verpflichtung vorliegt, kommt es eher zu einer Nichtpassivierung einer Rückstellung als zum Ansatz einer Forderung.
Das Ergebnis einer faktisch ungleichen Auswirkung des Vorsichtsprinzips auf der Aktivseite und auf der Passivseite der Bilanz kann dabei schon ein Störgefühl auslösen. Zwar kann man zur Begründung einer Ungleichbehandlung von Aktiv- und Passivseite auf die Überlegung abstellen, aus Vorsichtsgründen unterliege der Ansatz eines Vermögensgegenstands strengeren Anforderungen als der einer Schuld. Versteht man die Funktion des Vorsichtsprinzips jedoch vornehmlich darin, die Ausschüttung risikobehafteter Gewinne auszuschließen und damit Haftungssubstanz im Unternehmen zu bewahren, darf es eigentlich keine Rolle spielen, ob die Ergebnisminderung mit einer schon geleisteten Zahlung des Steuerpflichtigen zusammenhängt oder diese noch aussteht. Hinzu kommt, dass bei unterschiedlicher Behandlung auf der Aktiv- und Passivseite eine unterschiedliche Periodisierung des Steueraufwands erfolgt, was nicht plausibel ist.
Weitere Informationen:
Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., Berichterstattung über die 247. HFA-Sitzung, www.idw.de (Zugriff für Mitglieder des IDW)
Differenzierung zwischen der Aktiv- und der Passivseite ist das erste, was man lernen muss, wenn man sich mit Bilanzen der Firma befasst. Die Ausschüttung ist noch eine schwierige Sachen für mich. Ich informiere mich weiter noch, um die Gewinne einem Steuerberater danach zeigen. Danke für die Info!