Jahresrückblick Steuerstrafrecht 2015 (Teil 1/3)

Meine persönliche Rückschau zum Steuerstrafrecht 2015 richtet in drei Teilen den Blick auf die Neuerungen aus Gesetzgebung und Verwaltung, relevante Gerichtsverfahren sowie lesenswerte Literatur und Kurioses zum Thema. Es zeigt sich: Das Jahr 2015 hat zahlreiche Trendwenden mit sich gebracht – der Wind im Steuerstrafrecht weht rauer als je zuvor.

GESETZGEBER UND VERWALTUNG

Bereits der 1.1.2015 markiert einen Scheideweg: das neue Recht der Selbstanzeige (§ 371 AO) und des Absehens von Strafverfolgung (§ 398a AO) ist anzuwenden. Grundlage ist das AOÄndG 2015 (vom 22.12.14, BGBl. I 2014, 2415). Übergangsvorschriften sind nicht vorgesehen. Die letzte Reform idF des SchwarzGBekG (vom 28.4.11, BGBl. I 2011, 676) sah noch solche vor. Hierdurch war es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich, Teilselbstanzeigen wirksam abzugeben. Mit dem SchwarzGBekG endete diese Möglichkeit. Hinzu traten weitere Verschärfungen.

Das nun geltende Recht idF des AOÄndG 2015 knüpft nahtlos hieran an; vereinzelt kam es zu Entschärfungen. Unter dem Strich muss man allerdings festhalten: Der Verschärfungsfuror versperrte den Blick für sinnvolle und praktisch umsetzbare Änderungen. Wesentliche Mängel wurden nicht beseitigt, gleichzeitig kamen weitere hinzu.

Lesen Sie hierzu meine vierteilige Beitragsreihe: „Altbau Selbstanzeige – dritte Sanierung oder Abriss?“ (siehe unter „Weiterführende Informationen, Neues Recht der Selbstanzeige“, unten).

BMF-Entwurf AEAO zu § 153 AO: Die Selbstanzeige wurde über prominente Steuersünder-Fälle selbst prominent. Häufig genügt jedoch eine bloße Berichtigung nach § 153 AO. Ein vorläufiger BMF-Entwurf soll die Abgrenzung dieser Institute für die Verwaltungspraxis erleichtern. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Der Teufel steckt allerdings – auch hier – im Detail.

Inzwischen haben zahlreiche Verbände zum Diskussionsentwurf des BMF Stellung genommen. Einen ersten Einblick in das Thema liefert ein Beitrag, den ich zusammen mit RegDir David Roth, LL.M., für die „Legal Tribune Online (lto.de)“ geschrieben habe: „Entwurf des BMF – Berichtigung oder Selbstanzeige?“.

Den LTO-Beitrag sowie die einzelnen Stellungnahmen der Verbände finden Sie unten unter „Weiterführende Informationen, BMF-Entwurf AEAO zu § 153 AO“.

Weitere Gefährdung der Selbstanzeige und eine „leichtfertige Beihilfe zur Steuerhinterziehung“: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat mit Rundschreiben 1/2014 (siehe unter „Weiterführende Informationen, Geldwäscheverdachtsanzeige“) die Auslegungshinweise des BMF zum Verdachtsmeldewesen im Bereich der Geldwäschebekämpfung für ihren Geschäftsbereich übernommen. Beide Verwaltungsanweisungen gefährden die Wirksamkeit der strafbefreienden Selbstanzeige, denn:

„Aus gegebenem Anlass weise ich darauf hin, dass soweit ein Verpflichteter Kenntnis davon erlangt, dass ein Kunde von ihm eine Selbstanzeige gemäß § 371 Abgabenordnung (AO) abgegeben hat oder die Abgabe einer solchen beabsichtigt und nicht auszuschließen ist, dass eine entsprechende Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der mit dem Kunden bestehenden Geschäftsbeziehung oder Vermögenswerten des Kunden steht, der Verpflichtete eine Verdachtsmeldung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 GwG zu erstatten hat, soweit die darin genannten Voraussetzungen vorliegen. Dies folgt bereits daraus, dass für den Verpflichteten in einem solchen Fall nicht erkennbar ist, ob die Selbstanzeige überhaupt wirksam ist.

Ein Verpflichteter ist generell nicht verpflichtet, einen Sachverhalt auf das Vorliegen sämtlicher Tatbestandsmerkmale einer Vortat – und erst Recht nicht auf das wirksame Vorliegen eines persönlichen Strafausschließungsgrundes – hin zu prüfen.

Zu berücksichtigen ist, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht Adressat einer steuerlichen Selbstanzeige sind und daher den Sachverhalt regelmäßig noch nicht kennen. Selbst wenn dies der Fall wäre, verlangen die Hinweise in Bezug auf § 11 GwG (vgl. oben unter I.) selbst bei vorhandener Kenntnis grds. eine Meldung“ (BaFin-Rundschreiben 1/2014, Gliederungspunkt „II. Erfordernis einer Verdachtsmeldung auch bei Kenntnis von einer steuerlichen Selbstanzeige durch den Vertragspartner“).

Eine solche Verdachtsmeldung wegen möglicher Geldwäsche in Selbstanzeigefällen kann Sperrgründe im Sinne des § 371 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) auslösen. Die Selbstanzeige wäre dann nicht wirksam, ihre strafbefreiende Wirkung entfiele; allenfalls käme eine Strafmilderung in Betracht.

Die Voraussetzungen für eine Verdachtsmeldung dürften allerdings nur im Ausnahmefall vorliegen. Gleichwohl soll es zu einem Anstieg der Verdachtsmeldungen in 2015 gekommen sein. Dies ist zum Teil der Unerfahrenheit von Bankern geschuldet, die – ohne die Voraussetzungen im Einzelnen zu kennen – lieber eine Verdachtsmeldung mehr in die Welt setzen, als sich dem Risiko einer eigenen Strafbarkeit wegen möglicher Geldwäsche auszusetzen.

Im Rundschreiben wird dann – im Anschluss an den obigen Auszug – noch ausgeführt:

„Schließlich bleiben selbst bei einer wirksamen Selbstanzeige des Täters andere Personen (Mittäter, Gehilfen) strafbar, wenn sie nicht selbst jeweils für sich eine Selbstanzeige erstattet haben, so dass in solchen Fällen ein Eigeninteresse des Verpflichteten besteht, zur Vermeidung einer etwaigen Strafbarkeit wegen leichtfertiger Beihilfe zur Steuerhinterziehung eine Verdachtsmeldung mit der Folge des § 261 Abs. 9 StGB zu erstatten“ (BaFin-Rundschreiben 1/2014, a.a.O.).

„Strafbarkeit wegen leichtfertiger Beihilfe zur Steuerhinterziehung“? Eine solche Strafbarkeit existiert im geltenden Steuerstrafrecht nicht. Man mag das für ein dogmatisches Defizit der BaFin halten. Auf der anderen Seite ist es schwer vorstellbar, dass ein derart grober Schnitzer im Entwurfsverfahren übersehen wurde.

STEUERLICHER INFORMATIONSAUSTAUSCH

Über Jahrzehnte gehütete Bankgeheimnisse verschiedener „Steueroasen“ sind größtenteils gefallen bzw. werden über bi- und multilaterale Abkommen praktisch wirkungslos. Als Mittel der Wahl bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung soll sich insbesondere der automatische steuerliche Informationsaustausch bewähren.

Bereits im Oktober 2014 haben die Bundesrepublik Deutschland und 50 weitere Staaten und Gebiete einen völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnet, in dem sie sich zur Einführung eines solchen Informationsaustauschs verpflichtet haben. Inzwischen ist die Zahl der teilnehmenden Staaten auf über 60 angestiegen, darunter sind auch die Schweiz und Liechtenstein (siehe unter „Weiterführende Informationen, Informationsaustausch, unten“).

In 2015 brachte nun das Bundeskabinett zwei Gesetzentwürfe auf den Weg, mit denen der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten in Steuersachen mit den anderen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten ab 2017 wirksam werden soll. Hierzu Bundesfinanzminister Schäuble: „Deutschland wird ab 2017 mit anderen Staaten in den automatischen steuerlichen Informationsaustausch über Finanzkonten eintreten. Dies ist das wirksamste Mittel, um Steuerflucht und Steuerhinterziehung umfassend einzudämmen. Damit handeln wir im Interesse aller steuerehrlichen Bürger und Unternehmen“ (siehe a.a.O.).

ANKAUF VON WEITEREN STEUER-CDS

Auch in 2015 wurden von staatlicher Seite zahlreiche Steuer-CDs erworben. Das Finanzministerium NRW ist der Auffassung, „die Rechtmäßigkeit des Ankaufs von angebotenen Daten werde nicht nur durch das Bundesfinanzministerium, sondern auch durch die Staatsanwaltschaften und alle Gerichte bestätigt“ (siehe unter „Weiterführende Informationen, Ankauf von neuen Steuer-CDs, Finanzministerium NRW“).

Diese Einschätzung ist etwas zu pauschal: Bis heute ist höchstrichterlich nicht geklärt, ob der Ankauf von Steuer-CDs durch den Staat rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht, vgl. hierzu meinen Blog-Beitrag „NRW soll weitere Steuer-CD gekauft haben – die Rechtslage ist bis heute nicht geklärt“ (unten).

Ganz aktuell hat NRW-Finanzminister Walter-Borjans seine harte Linie gegenüber Steuersündern noch einmal bekräftigt: Gestern kündigte er gegenüber der „Welt am Sonntag“ an, es werde auch künftig „spektakuläre Datenerwerbe“ geben (unten, „Die Welt“). Zuvor erklärte der Berliner Finanzsenator Kollatz-Ahnen, Berlin gebe seine Zurückhaltung beim Ankauf von Steuer-CDs auf: „Wenn jemand auf die Idee käme, uns eine anzubieten, würden wir das schon machen“, so der SPD-Politiker (unten, „Berliner Morgenpost“).

DATENHEHLEREI

Am 18.12.2015 ist das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ in Kraft getreten (Gesetz vom 10.12.2015, BGBl. I 2015, 2218). Gegenstand ist unter anderem die Einführung des neuen Straftatbestandes der „Datenhehlerei“.

Absatz 1 des neu eingefügten § 202d StGB lautet:

„Wer Daten (§ 202a Absatz 2), die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

In Absatz 3 stellt sich der Staat einen „Persilschein“ für den Ankauf von Steuer-CDs aus, denn:

„Absatz 1 gilt nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. Dazu gehören insbesondere

  1. solche Handlungen von Amtsträgern oder deren Beauftragten, mit denen Daten ausschließlich der Verwertung in einem Besteuerungsverfahren, einem Strafverfahren oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zugeführt werden sollen, sowie
  2. solche beruflichen Handlungen der in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung genannten Personen, mit denen Daten entgegengenommen, ausgewertet oder veröffentlicht werden.“

Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Legalisierung des Ankaufs von Steuer-CDs auf die zukünftige Haltung einzelner kritischer Bundesländer auswirkt. Jedenfalls das Bundesland Berlin scheint seine Blockadehaltung aufgegeben zu haben (siehe oben „Ankauf von neuen Steuer-CDs“).

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN*

Neues Recht der Selbstanzeige

Franke-Roericht, „Altbau Selbstanzeige – dritte Sanierung oder Abriss?“ (4 Teile): http://www.nwb-experten-blog.de/altbau-selbstanzeige-dritte-sanierung-oder-abriss-teil-13/.

Beyer, „Selbstanzeige ab 1. 1. 2015 – Fallstricke in der Praxis: Handlungsoptionen und Lösungshinweise zu ausgewählten Problemfeldern“, NWB Nr. 11 vom 09.03.2015 Seite 769: http://datenbank.nwb.de/Dokument/Anzeigen/533026/

Heuel/Beyer, „Fallstricke bei der Korrektur von Umsatz- und Lohnsteuer-Anmeldungen Praxishinweise und -fälle zur Neuregelung der Selbstanzeige zum 1. 1. 2015“, BBK Nr. 16 vom 21.08.2015 Seite 740: http://datenbank.nwb.de/Dokument/Anzeigen/547276/

BMF-Entwurf AEAO zu § 153 AO

BMF: Vorläufiger Diskussionsentwurf AEAO zu § 153 AO – Abgrenzung einer Berichtigung nach § 153 AO von einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO (Stand: 16.6.2015): http://datenbank.nwb.de/Dokument/Anzeigen/900014098/?listid=76013&listpos=2.

Franke-Roericht / Roth, „Entwurf des BMF – Berichtigung oder Selbstanzeige?“: http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/erlass-bmf-steuerhinterziehung-selbstanzeige-berichtigung-entwurf/.

Die Stellungnahmen des Deutschen Steuerberaterverbandes (DStV), des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) sowie des Bundes der Steuerzahler (BdSt) sind über folgende Verlinkung verfügbar (Stand 7.9.2015): http://www2.nwb.de/portal/content/ir/service/news/news_1486766.aspx

Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (DAV) vom 11.8.2015: http://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-41-15-abgrenzung-einer-berichtigung-von-einer-strafbefreienden-selbstanzeige?page_n27=86

Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Compliance (DICO) vom 28.07.2015: https://dico-ev.de/fileadmin/PDF/Presseerklaerungen/PM_DICO_AEAO_ZU_153_AO.pdf

Geldwäscheverdachtsanzeige

BaFin-Rundschreiben 1/2014 (GW) – Verdachtsmeldung nach §§ 11, 14 GwG (Geschäftszeichen GW 1-GW 2001-2008/0003): http://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Rundschreiben/rs_1401_gw_verwaltungspraxis_vm.html

Auslegungshinweise des Bundesministeriums der Finanzen zur Handhabung des Verdachtsmeldewesens (§ 11 GwG) (Geschäftszeichen VII A 3 – WK 5023/10/10011): http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Internationales_Finanzmarkt/Finanzmarktpolitik/Finanzmarktregulierung/2014-01-29-11-GwG-anlage2.pdf?__blob=publicationFile&v=6

Infoaustausch

BMF: „Bundesregierung setzt Kampf gegen Steuerhinterziehung fort“: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2015/07/2015-06-15-PM28.html

Ankauf von neuen Steuer-CDs

Finanzministerium NRW, „Informationen zum Schweizer Steuerabkommen und dem Ankauf von Steuer-CDs sowie zu Selbstanzeigen“ (aktualisiert am 8.12.15): http://www.fm.nrw.de/allgemein_fa/steuerzahler/Steuerhinterziehung/2013_08_05_Update_Infos_Steuerabkommen.php

Franke-Roericht, „NRW soll weitere Steuer-CD gekauft haben – die Rechtslage ist bis heute nicht geklärt“: http://www.nwb-experten-blog.de/nrw-soll-weitere-steuer-cd-gekauft-haben-die-rechtslage-ist-bis-heute-nicht-geklaert/

Herrmann, Automatischer Informationsaustausch als Allheilmittel gegen Steuerhinterziehung?, PStR 2015, 288 ff.

Die Welt, „NRW-Finanzminister Walter-Borjans droht Steuersündern“, 3.1.2016: http://www.welt.de/wirtschaft/article150541654/NRW-Finanzminister-Walter-Borjans-droht-Steuersuendern.html

Berliner Morgenpost, „Berliner Finanzsenator will Steuer-CDs ankaufen“, 2.1.2015: http://m.morgenpost.de/berlin/article206879827/Berliner-Finanzsenator-will-Steuer-CDs-ankaufen.html

Datenhehlerei

202d StGB: http://datenbank.nwb.de/Dokument/Anzeigen/136684_202d/

 

* Die einzelnen Aufsätze, Informationen usw. wurden zT nicht vom Verfasser dieses Blog-Beitrags erstellt. Die Haftung wird ausgeschlossen.

 

Hinweis zur Beitragsreihe „Revolution per Nebensatz: Tax-Compliance-System kann Vorsatz ausschließen (BMF)“: Die Reihe aus Oktober 2015 wird voraussichtlich im Februar fortgesetzt. Teil 1 finden Sie hier: http://www.nwb-experten-blog.de/revolution-per-nebensatz-tax-compliance-system-kann-vorsatz-ausschliessen-bmf/

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