Hat die Commerzbank (noch) keinen Restrukturierungsplan? – Restrukturierungsrückstellungen (Teil 1)

Kürzlich war in der Zeitung zu lesen, die Commerzbank wolle bis zu 9.600 Stellen abbauen. Dabei wurde kritisiert, die Commerzbank habe unter anderem auch dem Aufsichtsrat für einen großen Teil der abzubauenden Stellen keine konkreten Informationen vorgelegt. Dabei klang durch, die Aufwendungen für die Maßnahmen sollten zu einem erheblichen Teil erst in den Jahren 2017 und 2018 anfallen. Was könnte dahinter stecken?

Soll ein Unternehmen restrukturiert werden, ist das häufig mit der Schließung von Betriebsteilen und damit insbesondere auch mit dem Abbau von Mitarbeiterstellen verbunden. Gelingt ein solcher Abbau durch die Nutzung der natürlichen Fluktuation, fallen dafür prinzipiell keine Belastungen des Unternehmens an. Häufig reicht dieser Weg jedoch nicht aus und man muss den Mitarbeitern entweder eine freiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses schmackhaft machen oder sogar betriebsbedingte Kündigungen nutzen. Beides kostet das Unternehmen Geld. Entweder versucht man eine Aufhebung des Arbeitsvertrags durch finanzielle Anreize zu erreichen oder muss bei Kündigungen einen Sozialplan aufstellen.

Für die Bilanzierung wird darüber gestritten, ob und vor allem wann durch die aufwandswirksame und damit gewinnmindernde Bildung von sogenannten Restrukturierungsrückstellungen bilanzielle Vorsorge für die Belastungen erfolgen soll. Dafür ist zwischen der Rechnungslegung nach HGB und nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) zu trennen.

Nach HGB sind Restrukturierungsrückstellungen zu bilden, sofern die Ansatzvoraussetzungen für ungewisse Verbindlichkeiten vorliegen (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB). Die Kriterien hierfür werden in der (Finanz-) Rechtsprechung und Literatur nicht einvernehmlich abgegrenzt. Nach einem Raster ist eine Verbindlichkeitsrückstellung dann anzusetzen, wenn

  • eine Außenverpflichtung vorliegt oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entsteht,
  • rechtliche oder wirtschaftliche Verursachung bis zum Abschlussstichtag gegeben ist,
  • mit der Inanspruchnahme des Unternehmens ernsthaft zu rechnen ist und
  • der Rückstellungsbetrag hinreichend sicher quantifizierbar ist.

Über die Interpretation und Anwendung der Kriterien kann und wird trefflich gestritten und auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist immer noch keine völlig einheitliche Linie erkennbar. Damit eröffnen sich abschlusspolitische Spielräume sowohl auf der Ebene der Abgrenzung der relevanten Kriterien als auch bei der Prüfung deren Vorliegens. Was bedeutet etwa „hinreichende Wahrscheinlichkeit, „wirtschaftliche Verursachung“, „ernsthaft zu rechnen“ oder „hinreichend sicher quantifizierbar“ bei Restrukturierungsprojekten? Mithin sind die Restrukturierungsrückstellungen traditionell eine beliebte Spielwiese der Abschlusspolitik.

Das abschlusspolitische Instrument wird auch gerne nach einem Wechsel des Vorstandschefs eingesetzt. Einerseits erkennt der neue Chef eine Notwendigkeit, den Laden wieder flott zu machen. Die derzeitige Situation hat er nicht „verschuldet“, was vielfach auch zu begründen sein wird, und andererseits kann man seine eigenen Qualitäten hervorheben. Zudem kann man deswegen die durch eine Restrukturierung verursachten Belastungen dem Vorgänger in die Schuhe schieben. Stellt man dabei etwas mehr zurück als am Ende benötigt wird, kann man bei der späteren Auflösung der Rückstellung nach einigen Jahren auch noch Erträge generieren und damit den Gewinn erhöhen. Diese Gewinnerhöhung ist natürlich dem dann nicht mehr ganz neuen Chef zu verdanken. Im angelsächsischen Bereich hat sich für diese Vorgehensweise unter anderem auch der schöne Terminus „big bath restructuring“ herausgebildet. Im Fall der Commerzbank spricht gegen eine solche Motivation zur sofortigen Gewinnminderung die derzeit mit Sorgen gesehene Eigenkapitalausstattung der Banken insgesamt. Eine Gewinnminderung kann auf das Eigenkapital durchschlagen, weil entweder weniger Gewinnthesaurierung betrieben werden kann oder gar Verlust die Summe des Eigenkapitals angreifen.

Im deutschen Handelsbilanzrecht hat das Vorsichtsprinzip große Bedeutung (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Danach besteht eine Tendenz Rückstellungen bei Unsicherheiten eher etwas früher zu bilden und auch den Betrag tendenziell großzügiger zu schätzen. Daraus könnte man schließen, eine Restrukturierungsrückstellung sei dann zu bilden, wenn die Maßnahme intern beschlossen oder absehbar sei, d.h. spätestens bei Beschluss der geschäftsführenden Entscheidungsorgane. Etwas anderes könnte dann gelten, wenn es sich um eine durch einen Aufsichtsrat zustimmungspflichtige Entscheidung handelt.

Man kann jedoch diskutieren, ob der interne Beschluss über eine Restrukturierungsmaßnahme wirklich zu einer Verpflichtung gegenüber außenstehenden Dritten führt. Unter anderem dieser Frage soll im Teil 2 dieses Blogthemas nachgegangen werden.

Deutlich kritischer mit der Frage der Bildung einer Restrukturierungsrückstellung geht die Finanzverwaltung um: Danach sind Rückstellungen für Sozialplanverpflichtungen „im Allgemeinen ab dem Zeitpunkt zulässig, in dem der Unternehmer den Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung unterrichtet hat. Die Voraussetzungen für die Bildung von Rückstellungen … liegen am Bilanzstichtag auch vor, wenn der Betriebsrat erst nach dem Bilanzstichtag, aber vor der Aufstellung oder Feststellung der Bilanz unterrichtet wird und der Unternehmer sich bereits vor dem Bilanzstichtag zur Betriebsänderung entschlossen oder schon vor dem Bilanzstichtag eine wirtschaftliche Notwendigkeit bestanden hat, eine zur Aufstellung eines Sozialplans verpflichtende Maßnahme durchzuführen.“ (EStR R 5.7 (9)) Diese Sichtweise hat sich auch ein großer Teil der handelsrechtlichen Literatur zu eigen gemacht. Dabei wird auch vertreten, ein etwaig notwendiger Aufsichtsratsbeschluss könne werterhellend im Aufstellungszeitraum nachgeholt werden. Damit müsste zum Abschlussstichtag lediglich der Vorstandsbeschluss vorliegen.

Unterstellt die Commerzbank denkt an Maßnahmen, die einen Sozialplan erfordern, könnte man davon ausgehen, eine sofortige handelsrechtliche Rückstellungsbildung solle durch fehlende Herbeiführung eines Aufsichtsratsbeschlusses vermieden werden. Abgesehen von der Möglichkeit eines noch gar nicht fertigen Restrukturierungsplans ist auch gut vorstellbar, dass es primär gar nicht um die Handelsbilanz geht, sondern vielmehr um den IFRS-Konzernabschluss. Daher werde ich in Teil 2 dieses Blogs die Frage aus der Sicht der Rechnungslegung nach IFRS näher betrachten.

Weitere Informationen:

FAZ, Commerzbank-Aufsichtsrat kritisiert Vorstand scharf (ausführlicher FAZ- Printausgabe 10.10.2016, S. 19)

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