Bilanzierung von Reverse Factoring – nicht nur Finance 7.0

Factoring ist ein seit Jahrzehnten beliebtes Instrument zur Refinanzierung von Forderungen. Traditionell „verkauft“ dabei der Gläubiger von Lieferforderungen (Lieferant) diese an ein Factoringinstitut oder eine Bank (Factor) zu einem Preis unterhalb des Nominalbetrags. Der Lieferant erhält gegen den Abschlag einen schnellen Liquiditätszufluss. Rechtlich geht dabei das Eigentum an den Forderungen auf den Factor über. Der Übergang kann als offene oder stille Zession erfolgen, d.h. der Forderungsschuldner (Kunde) erfährt von der Forderungsabtretung oder auch nicht. Neuerdings findet sich daneben ein sogenanntes Reverse Factoring, d.h. ein umgekehrtes Factoring.

Als wesentlicher Unterschied des umgekehrten Factorings zum traditionellen Factoring, bei dem sich der Lieferant einen Factor sucht, der die bestehenden Forderungen übernimmt, initiiert beim umgekehrten Factoring der Kunde, d.h. der Forderungsschuldner, das Factoring. Der Vorteil für den Kunden kann in einem verlängerten Zahlungsziel liegen, das ihm der Factor verschafft. Zudem kann es zur Vereinbarungen von Zinszahlungen mit dem Forderungsschuldner bzw. einem Einredeverzicht kommen.

Hat der Factor etwa eine vertiefte Bonitätsprüfung bzw. ein Rating des Kunden vorgenommen, verringert sich gegenüber dem traditionellen Ankauf eines Bündels von Forderungen vom Lieferanten mit unterschiedlichen Schuldnern das Risiko des Factors und in der Folge ist die Gewährung eines geringeren Abschlags vom Nominalwert denkbar, was die Finanzierung günstiger gestaltet. Es finden sich auch Verbriefungsmodelle, bei denen ein Finanzinstitut Forderungen eines Schuldners von verschiedenen Gläubigern einsammelt und diese wiederum im Rahmen eines Asset Based Finance verbrieft.

Beim traditionellen Verkauf der bestehenden Forderungen kommt es für die handelsrechtliche Bilanzierung beim Lieferanten entscheidend darauf an, wer wirtschaftlicher Eigentümer der Forderungen ist (§ 246 Abs. 1 Satz 2 HGB). Das wiederum entscheidet sich grundsätzlich danach, wer Chancen und Risiken (Besitz, Gefahr, Nutzen, Lasten) innehat. Beim Factoring erfolgt die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an den Forderungen danach, wer das Ausfallrisiko trägt. Übernimmt der Factor das Ausfallrisiko, was er sich über einen erhöhten Abschlag vom Nominalwert der Forderung bezahlen lässt, wird er wirtschaftlicher Eigentümer der Forderungen. Man spricht hier von echtem Factoring. Der Lieferant  als ursprünglicher Forderungsgläubiger bucht die Forderung aus und erfasst den Abschlag als Finanzierungsaufwand.

Bleibt das Ausfallrisiko und damit das wirtschaftliche Eigentum an den Forderungen beim Lieferanten, spricht man von unechtem Factoring. Die Forderungen gehen zwar zivilrechtlich auf den Factor über, dieser wird aber nicht wirtschaftlicher Eigentümer. Wirtschaftlich entspricht die Konstruktion einem durch Sicherungsübereignung besicherten Kredit des Factors an den Lieferanten. Entsprechend erfasst der Lieferant den Geldzufluss gegen eine Verbindlichkeit. Die Forderungen bleiben bilanziell in seinem Bestand.

Nach IFRS sind die komplexen Regelungen des IAS 39 zu beachten. Auch danach gilt als Inhaber der Forderungen derjenige, der Chancen und Risiken trägt (IAS 39.17 ff.). Die Kriterien für den Abgang von finanziellen Vermögenswerten und damit Forderungen sind dabei deutlich komplexer als nach HGB.

So ist in einem gegebenenfalls mehrstufigen Prüfungsverfahren festzustellen, ob das Recht an den Cashflows aus den Forderungen übertragen wurde. Falls nicht, kann dennoch ein Abgang vorliegen, sofern die Cashflows zwar weiterhin zufließen, aufgrund einer Durchleitungsvereinbarung aber wieder abfließen. Ist das Recht auf die Cashflows abgegangen oder besteht eine Durchleitungsvereinbarung ist weiterhin festzustellen, ob im Wesentlichen alle Chancen und Risiken aus den Forderungen abgegeben wurden und damit der Abgang begründet ist. Ist das nicht gegeben, ist weiterhin zu prüfen, ob im Wesentlichen alle Chancen und Risiken zurückbehalten wurden. Bei positiver Antwort liegt kein Abgang vor, anderenfalls ist wiederum danach zu differenzieren, ob die Verfügungsmacht übertragen wurde. Ist dies erfolgt, liegt ein Abgang der Forderung vor, ansonsten ist nach dem Prinzip des „Continuing Involvement“ das verbleibende Interesse zu bilanzieren.

Na, schon schwindelig? Das ließe sich über die Darstellung weiterer Detailregelungen steigern. Aber auch nach IFRS ist beim Factoring die Frage, wer das Ausfallrisiko trägt, von zentraler Bedeutung (IAS 39.AG40(e)).

Woran nach HGB zunächst wohl weniger, nach IAS 39 dagegen aber mehr gedacht wird, ist die Frage der Behandlung beim Kunden, also dem Forderungsschuldner. Durch die Übertragung der Forderungen auf den Factor könnte die ursprüngliche Verbindlichkeit aus Lieferung und Leistung durch eine neue Verbindlichkeit gegenüber dem Factor ersetzt sein. Die ursprüngliche Verbindlichkeit aus Lieferung und Leistung ist dann nicht mehr zu erfassen, wenn sie durch Erfüllung, Aufhebung oder Auslaufen als getilgt gilt (IAS 39.39). Der Austausch einer Verbindlichkeit gegen eine neue mit substanziell anderen Vertragsbedingungen führt zum Abgang der alten und Zugang einer neuen Verbindlichkeit (IAS 39.40). Eine substanzielle Änderung der Vertragsbedingungen liegt insbesondere dann vor, wenn sich der Barwert der Zahlungsströme um mindestens 10 % ändert (IAS 39.AG62).

Zudem kann das Reverse Factoring statt durch Verkauf der Forderungen auch so gestaltet werden, dass die ursprüngliche Verpflichtung des Kunden gegenüber dem Lieferanten erlischt und durch eine neue Vereinbarung mit dem Factor in Form eines Schuldanerkenntnisses ersetzt wird. Das kann für die Frage der Ersetzung der Verbindlichkeit ebenfalls Bedeutung haben. Weiterhin kann ohne Erlöschen der Forderung beim Lieferanten eine zusätzliche Vereinbarung zwischen Factor und Kunden geschlossen werden, die neben die bestehende Verpflichtung tritt, bis der Factor den Forderungsbetrag an den Lieferanten zahlt.

Das IDW hat mit einer Ergänzung des Rechnungslegungsstandards HFA 9 jüngst Maßgaben zur Bilanzierung beim Forderungsschuldner verlautbart. Danach ist in 3 Schritten zu prüfen, ob eine Ersetzung der Verbindlichkeit i.S. von IAS 39 vorliegt:

  1. Wird der Kunde von seiner ursprünglichen Verpflichtung gegenüber dem Lieferanten entbunden und wird eine neue Verbindlichkeit gegenüber dem Factor begründet? Hier kommt es bilanziell zum Ersatz der ursprünglichen Verpflichtung (IAS 39.39, .AG57(b)).
  2. Geht der Kunde neben seiner ursprünglichen Verpflichtung gegenüber dem Lieferanten zusätzlich eine neue Verbindlichkeit gegenüber dem Factor ein? Bei dieser Konstruktion bestehen bis zur Zahlung des Factors an den Lieferanten beide Verpflichtungen. Da jedoch regelmäßig der Barwert der ursprünglichen Verbindlichkeit gegenüber dem Lieferanten auf Null sinken wird, weil abredegemäß keine Zahlung mehr an diesen zu leisten ist, wird faktisch nur die neue Verpflichtung gegenüber dem Factor ausgewiesen.
  3. In anderen Fällen ist zu prüfen, ob bei grundsätzlichem Fortbestehen der alten Verpflichtung nach dem Barwerttest eine substanzielle Änderung der Vertragsbedingungen und damit ein Austausch der Verbindlichkeit vorliegt. Über den quantitativen Barwerttest hinaus tritt das IDW auch für eine qualitative Beurteilung der geänderten Vertragsbedingungen im Hinblick auf eine substanzielle Änderung ein.

Wie man sieht, ist das Thema nicht einfach zu behandeln. Eine Einschätzung der Rechnungslegungsfolgen ist vor Abschluss von Vereinbarungen zum umgekehrten Factoring anzuraten. Das gilt auch für die in RS HFA 9 nicht behandelte Frage der handelsrechtlichen Bilanzierung von Vertragsänderungen. Wie bei allen komplexen Gestaltungen schadet es zudem nicht, den eigenen Abschlussprüfer frühzeitig einzubinden, um dessen Beurteilung des Sachverhalts zu erfragen. Das erspart gegebenenfalls beidseitige Frustrationen, falls der Abschlussprüfer im Nachhinein Kenntnis erlangt und im Rahmen seiner Prüfung die Einschätzung des Prüfungsmandanten nicht mittragen kann.

Weitere Informationen:

IDW RS HFA 8, Zweifelsfragen der Bilanzierung von asset backed securities-Gestaltungen und ähnlichen Transaktionen

IDW RS HFA 9, Einzelfragen zur Bilanzierung von Finanzinstrumenten nach IFRS, Tz. 243 ff.

Ein Beitrag von:

  • Prof. Dr. Robin Mujkanovic

    • 2004 Wirtschaftsprüfer
    • Bis 2005 National Office einer Big4-WPG
    • Seit 2005 Professur für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung an der Wiesbaden Business School
    • Arbeitskreise beim IDW/DRSC/DIIR, Prüfer im WP-Examen

    Warum blogge ich hier?
    Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung sind vom „Buchhalter-Image“ zu einem Berufsfeld mit rasanter Entwicklung geworden. Realität und Normen sind einem ständigen Wandel und steigender Komplexität unterworfen. Die Nutzung des schnellen Web-Mediums zur Diskussion ist ein logischer Schritt.

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