Der Volkswagen-Konzern hält uns seit einiger Zeit atemlos auf Trab. Die schier endlose Geschichte um die Abgasmanipulationen wurden schon in früheren Blogs aus bilanzieller Sicht problematisiert. Nun hat sich mit dem Streit um die Belieferung mit Sitzbezügen und vor allem Getriebegehäusen eine neue Baustelle aufgetan. Diesmal steht Volkswagen vordergründig als Opfer da, wobei die Gegenpartei sich wohl wegen einer aufgelösten Entwicklungsbeziehung benachteiligt fühlt. Gerade war zu lesen, die Streitparteien hätten sich geeinigt. Mir ist bei dem ganzen Vorgang durch den Kopf gegangen, wie Volkswagen mit dem Risiko aus der Beziehung zu Lieferanten in der Berichterstattung umgegangen ist.
Im Lagebericht ist unter anderem über die Risiken des Unternehmens zu berichten (§ 289 Abs. 1 Satz 4, § 315 Abs. 1 Satz 5 HGB). Diese Vorschriften gelten auch für IFRS-Bilanzierer wie Volkswagen, weil sie einen Lagebericht nach deutschem Recht zu erstellen und veröffentlichen haben (§ 315a Abs. 1 HGB). In den letzten Jahren hat zunächst der Gesetzgeber immer wieder die Bedeutung der Prognose-, Chancen- und Risikoberichterstattung gestärkt. Im Anschluss haben die Enforcement-Instanzen wie die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung intensiv in die Risikoberichte deutscher Unternehmen geschaut, weil hier einiges im Argen lag. Also sollte man meinen, dass wesentliche Risiken im Lagebericht von Volkswagen erläutert wären.
Im vorliegenden Fall hatte sich das Risiko eines Lieferausfalls des einzigen Lieferanten für ein bestimmtes Teil des Getriebegehäuses verwirklicht. Damit war die Produktion in einigen Bereichen des Konzerns zum Erliegen gekommen. In der Folge wird mit erheblichen Belastungen bei Volkswagen gerechnet. Deutlich wird, dass der längere Ausfall eines exklusiven und kurzfristig nicht zu substituierenden Lieferanten für das Unternehmen wegen der dadurch ausgelösten Produktionseinschränkungen zu erheblichen Folgen führen kann.
Damit soll kein Urteil über die Geschäftspolitik von Volkswagen getroffen werden. Es mag nicht geschäftlicher Leichtsinn sein, sich auf einen Lieferanten zu beschränken. Gute Gründe können dies sinnvoll erscheinen lasse, etwa exklusives Knowhow beim Lieferanten, das den Bezug der benötigten Teile nur von diesem Lieferanten erzwingt. Vielfach werden neue Technologien nicht vom Autohersteller selbst entwickelt, sondern von Lieferanten in Abstimmung mit dem Autohersteller. Hier mit verschiedenen Lieferanten parallel zu arbeiten kann unwirtschaftlich bis unmöglich sein.
Wichtig ist die aus der engen Bindung folgenden Risiken zu erkennen und zu managen. Die Risiken müssen dabei nicht aus einem Streit wie im Volkswagenfall resultieren. Lieferanten können etwa auch schlicht wegen Insolvenz nicht mehr lieferfähig sein. Auch Katastrophen können die Lieferung unterbrechen, wenn der Lieferant nicht über Produktionsstätten außerhalb des Katastrophengebiets verfügt und deswegen nicht liefern kann. Nach Fukushima war das eventuell ein Thema japanischer Hersteller.
Was bedeutet das jetzt für die Unternehmensberichterstattung? Existiert ein operatives Risiko aufgrund von exklusiven Lieferbeziehungen mit wesentlichen Auswirkungen einer Lieferunterbrechung, würde ich darüber eine Berichterstattung im Risikobericht des Lageberichts erwarten. Also habe ich mir zunächst einmal den Halbjahresbericht von Volkswagen für das erste Halbjahr 2016 angeschaut. Dort findet sich auf S. 20 f. eine Darstellung der Entwicklung um den Abgasskandal insbesondere mit Bezug zum US-amerikanischen Markt. Dabei fällt schon auf, dass hier mehr über die Gespräche und Vereinbarungen in den USA berichtet wird, als dass weiter bestehende Risiken deutlich adressiert werden. Zum Problem exklusiver Lieferbeziehungen findet sich soweit ersichtlich nichts. Nun mag man das hinnehmen, weil der Zwischenlagebericht auf die bedeutsamen Veränderungen gegenüber dem letzten Ganzjahres-Lagebericht beschränkt werden kann.
Also muss der Blick in den Lagebericht für das Geschäftsjahr 2015 gehen. Hier findet sich u.a. folgende schöne Beschreibung zum Risikomanagementsystem: „In diesem Zusammenhang hat Volkswagen auch im Berichtsjahr einen ganzheitlichen, integrativen Ansatz verfolgt, der die Themen Risikomanagementsystem, Internes Kontrollsystem und Compliance-Managementsystem (CMS) in einem Management-Ansatz (Governance, Risk & Compliance-Ansatz) vereint. Der Aufbau des RMS/IKS gemäß dem COSO-Enterprise-Risk-Management-Rahmenwerk gewährleistet eine umfassende Abdeckung möglicher Risikobereiche…“ (Volkswagen Geschäftsbericht, S. 170). Auf den ersten Blick fragt man sich dann schon angesichts des Abgasskandals, ob diese positive Feststellung überzeugen kann. Auf den zweiten Blick muss man beachten, dass die Aussage nur für das Jahr 2015 gilt und etwaige Defizite aus den Vorjahren nicht gemeint sein könnten. Hier muss sich jeder Leser seine eigenen Gedanken machen. Darüber hinaus berichtet Volkswagen über die implementierten Systeme und Maßnahmen. Schließlich kommt man zu den Risiken selbst. Hier nehmen nicht unerwartet die Risiken aus dem Abgasskandal eine prominente Stellung ein (Volkswagen Geschäftsbericht, S. 173, 182 ff.).
Und tatsächlich gibt es dann ein eigenes Kapitel zu „Risiken und Chancen aus der Beschaffung“ (Volkswagen Geschäftsbericht, S. 176). Hier wird das Problem finanzieller Instabilität von Lieferanten, aber auch von Katastrophen wie Bränden angesprochen. Den Tenor des Berichts lese ich dabei eher im Sinne von „Wir schaffen das“ (Bob der Baumeister). Und am Ende wird das Problem möglicher Abhängigkeiten tatsächlich erwähnt: „Um uns für die bestmöglichen Lieferanten zu entscheiden, wägen wir stets die Chance, einen qualifizierten Partner für innovative Projekte zu gewinnen und überregionale Synergien zu nutzen, gegen die Risiken einer Abhängigkeit ab.“
Leider wird dann nicht ausgeführt, wie konkret die Abhängigkeitsrisiken im Konzern aussehen und welche Folgen ihre Verwirklichung haben könnte. Bei kleineren Unternehmen kann es auch schon einmal vorkommen, dass Lieferantenrisiken zur Bestandsgefährdung führen können. Selbst wenn das bei Volkswagen nicht nahe liegt, wäre hier etwas weniger Lageberichtsprosa und mehr inhaltliche Substanz aus Lesersicht wünschenswert. Man könnte weiter untersuchen, ob bei anderen Industrieunternehmen hier mehr Substanz ersichtlich wird. Nur würde das den Rahmen dieses Blogs dann doch sprengen.
Weitere Informationen:
Osterloh bringt Beteiligungen an Zulieferern ins Spiel
„Dieselgate 3“ – Noch einmal KFZ-Steuer und außerplanmäßige Abschreibungen im Umlaufvermögen
„Dieselgate 2“ – Außerplanmäßige Abschreibungen auf „Stinker“ im Anlagevermögen?