Das Sommerloch scheint auch Eingang in die Finanzrechtsprechung gefunden zu haben. Diesen Verdacht legt zumindest der Blick in die Pressemitteilungen der Woche nahe. Eigentlich Grund genug, mal etwas weiter zurückzuschauen. Meine persönliche Top10 der kuriosesten FG-Urteile – Teil 1.
Aktentasche des Betriebsprüfers (1978)
Ein echter Klassiker und wahrlich lesenswert. Vor etwa 40 Jahren wollte ein Betriebsprüfer seine Aktentasche als Arbeitsmittel absetzen. Doch das Finanzamt spielte nicht mit. Begründung: mit der Tasche könne man auch private Dinge wie Schwimmsachen transportieren. Außerdem nehme der Prüfer werktäglich sein Pausenbrot in der Tasche mit. Das FG Berlin urteilte dann in unnachahmlicher Weise zur Nutzung der Tasche durch den Prüfer: „Er befördert damit nur die Akten, die er beruflich bearbeitet. Andere Gegenstände, mit Ausnahme der Butterbrote, transportiert er in der Aktentasche nicht. Diese private Benutzung ist unwesentlich. Wenn dies noch weiterer Ausführung bedarf, dann der, daß der Kläger seine Butterbrote regelmäßig nur auf dem Hinweg mit der Aktentasche befördert, weil er sie mittags verzehrt. Zu diesen Schlüssen kommt das Gericht u.a. auch nach der Besichtigung der Aktentasche. Diese ergab, daß es sich um eine schwarze Tasche mit besonders nachgiebigen und ausladenden Seitentaschen handelt. Sie eignet sich deshalb in erster Linie für den Transport von Akten. Dagegen ist sie für andere Zwecke, etwa zum Einkaufen oder zur Aufbewahrung von Badesachen zwar nicht ungeeignet, aber unpraktisch.“ Großartig!
Das gereimte Urteil (1987)
Noch ein Klassiker – das Urteil in Versform. Hinsichtlich der Finanzverfahren hat sich dort das FG Köln hervorgetan: „So fügt sich’s, daß die Ausschlußfrist, vergeblich jetzt verstrichen ist.“
Hexenverbrennung entbindet nicht von Kirchensteuereinbehalt (1989)
Vor gut 25 Jahren stellte ein Arbeitgeber beim Finanzamt München den Antrag, vom „aufgezwungenen Inkassodienst für kriminell tätig gewesene Religionsgesellschaften, hier speziell römisch-katholische und evangelische Religionsgesellschaft“ freigestellt zu werden. Er wollte für seine Mitarbeiter keine Kirchensteuer einbehalten und abführen, u.a. weil im Jahr 1664 eine direkte Vorfahrin als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Diese grausame Erinnerung mache ihm die Ausübung des Inkassodienstes unmöglich. Beim Finanzgericht berief man sich indes auf die ständige Rechtsprechung zum Kirchensteuereinbehalt durch den Arbeitgeber und bestätigte die Rechtmäßigkeit des Verfahrens.
Exkurs: Pflicht zur Kirchenaustrittsberatung (2002)
Nochmal Kirchensteuer. Auch außerhalb der Finanzgerichtsbarkeit gibt es dann und wann kuriose Entscheidungen mit Bezug zum Steuerrecht. Das unterstrich eindrucksvoll etwa das OLG Düsseldorf. Dort stellt man fest, dass ein Steuerberater seinen kirchensteuerpflichtigen Mandanten auch ungefragt darauf aufmerksam machen müsse, durch Austritt aus der Religionsgemeinschaft die Kirchensteuer sparen zu können. Diesen Grundsatz widerrief der BGH später allerdings in einem anderen Verfahren. Zwischenzeitlicher Kommentar von einem meiner akademischen Lehrer: Vorsorglich sollte man den Mandanten auch darauf hinweisen, dass er sich durch Erschießen ebenso der Einkommensteuerpflicht entziehen könne.
Die Liste der eigentümlichen Urteile lässt sich endlos erweitern. Was ist ihr persönlicher Lieblingsfall aus der Kategorie ‚Kurios‘?
(Teil 2 demnächst hier im NWB Experten-Blog)
Weitere Infos:
- FG Berlin, Az. III 126/77 (Aktentasche), EFG 1979, 225
- FG Kön, Az. 11 K 3382/87 (gereimtes Urteil), EFG 1988, 131
- FG München, Az. 13 K 2047/89 (Kirchensteuereinbehalt), NJW 1990, 1256
- OLG Düsseldorf, Az. 23 U 39/02 (Kirchenaustritt), OLGR Düsseldorf 2003, 106