Wenn die Rechtsprechung kein Recht mehr spricht – BFH und Handelsbilanzrecht

In einem früheren Beitrag wurde die handelsrechtliche und steuerliche Behandlung eines Rangrücktritts vor dem Hintergrund jüngerer finanzgerichtlicher Entscheidungen erörtert.  Nun liegt hierzu ein Urteil des BFH vor, das durchaus Anlass zu weiterer Diskussion gibt. Im Urteil geht es vor allem um die Frage, ob eine Erklärung, die mit Rangrücktritt versehene Schuld erst zu tilgen, sofern dies aus künftigem Bilanzgewinn möglich ist, zu einer Ausbuchung der Schuld führt.

Der BFH hat sich der Sichtweise der Finanzgerichte nicht angeschlossen und eine steuerliche Ausbuchung der Schuld entschieden. Für den Entscheidungsfall argumentiert der BFH u.a. mit der unzureichenden Höhe der Rücklagen. Damit könne eine Bedienung der Schuld faktisch nur aus künftigen Überschüssen erfolgen. Diese Argumentation erscheint vor dem Hintergrund des Wortlauts von § 5 Abs. 2a EStG nicht unvertretbar. Neu in der BFH-Rechtsprechung ist die Interpretation des Wegfalls der Schuld als steuerlicher Einlagevorgang, wodurch eine gewinnerhöhende Ausbuchung der Schuld in Höhe des Einlagewertes in der Krisensituation des Unternehmens vermieden wird.

Äußerst problematisch ist jedoch die völlig unreflektierte Wiederholung früherer BFH-Äußerungen zur handelsrechtlichen Bilanzierung. Es wird behauptet, handelsbilanziell sei die Passivierung einer Schuld und damit auch einer Verbindlichkeit von einer sogenannten „wirtschaftlichen Belastung“ abhängig. In Anlehnung an eine „steinzeitliche“ Rechtsprechung des Großen Senats wird gar ein handelsrechtliches Passivierungswahlrecht für aus künftigen Gewinnen zu tilgende Schulden unterstellt, auch wenn sie rechtlich entstanden sind. Eine Auseinandersetzung mit dem Gesetz oder der handelsrechtlichen Literatur wird nicht sichtbar.

Für die Passivierung einer mit Rangrücktritt versehenen Schuld in der Handelsbilanz kann das alles keine Rolle spielen. Solange die Schuld rechtlich nicht weggefallen ist, muss sie im handelsrechtlichen Jahresabschluss mit ihrem Erfüllungsbetrag passiviert werden (§§ 246 Abs. 1, 253 Abs. 1 HGB). Dies ergibt sich zwingend aus dem Vollständigkeitsgrundsatz des Handelsbilanzrechts, dem fundamentale Bedeutung zukommt. Konkretisierend hat der Gesetzgeber im Rahmen des BilMoG zudem deutlich gemacht, dass es für die Passivierung einer Schuld in der Handelsbilanz allein auf die rechtliche Verpflichtung ankommt (§ 246 Abs. 1 Satz 3 HGB). Ein Rangrücktritt lässt die Schuld nicht wegfallen, sondern schließt nur die Geltendmachung der Schuld aus. Einzig wenn im besonderen Einzelfall ein formaler Rangrücktritt als Forderungsverzicht zu werten wäre, könnte sich anderes ergeben.

Gar nicht begründbar erscheint ein handelsrechtliches Passivierungswahlrecht, weil im Falle des Fehlens einer Schuld keinerlei Norm zur Begründung einer Passivierung ersichtlich ist und bei Vorliegen einer Schuld ein Verzicht der Passivierung wie beschrieben grob rechtswidrig erscheint. Dem BFH wäre dringend eine Auseinandersetzung mit der im Urteil zitierten handelsrechtlichen Kommentarliteratur und weiteren kompetenten Quellen zu empfehlen.

Was bedeutet das nun für die Praxis. Um Risiken zu verringern empfiehlt sich im Falle der Ausstattung eines Rangrücktritts mit einer „Besserungsabrede“ unbedingt die Tilgung auch aus „sonstigem freiem Vermögen“ festzulegen. Man weiß zwar wohl nicht so richtig, was das für ein Vermögen sein soll. Auch der BFH nennt es in seinem jüngsten Urteil „sog. freies Vermögen“. Soweit ersichtlich, vermeidet diese Formulierung jedoch die Ausbuchung der Schuld auch steuerlich.

Die mangelnde Reflexion handelsrechtlicher Bilanzierungsprinzipien durch den BFH stärkt meinen seit Jahrzehnten bestehenden Wunsch nach einer Aufgabe des Maßgeblichkeitsprinzips, um eine „Verbiegung“ des Handelsbilanzrechts durch die vielleicht auch fiskalisch motivierte Finanzrechtsprechung endlich zu beenden.

Weitere Informationen:

BFH v. 15.4.2015, I R 44/14

BFH v. 10.11.1980, GrS 1/79

Mujkanovic, Rangrücktritt zur Sicherung der Unternehmensfortführung – Folgen in Handels- und Steuerbilanz

Ein Kommentar zu “Wenn die Rechtsprechung kein Recht mehr spricht – BFH und Handelsbilanzrecht

  1. Danke für den Tipp, dass die Schuld im handelsrechtlichen Jahresabschluss mit ihrem Erfüllungsbetrag passiviert werden muss, solange sie rechtlich noch nicht weggefallen ist. Mein Onkel möchte sich nach Ende seines Jurastudiums im Bereich des Handelsrechts weiterbilden. Er hofft, dass er schnell lernen kann, wann die Schulden im Jahresabschluss passiviert werden müssen.

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